StartAktuellesFür Frieden in Europa

Für Frieden in Europa

1. November 2024 tkp.at von Thomas Oysmüller

Viktor Orbán und Alt-Kanzler Gerhard Schröder waren zu Gast bei Roger Köppel (Weltwoche) in Wien und durften ihre Sicht auf Frieden, Russland, die Ukraine, Krieg und Europa vortragen.

Schon im Vorfeld des Besuchs empörte sich der österreichische Mainstream tagelang: Orban kommt ins Parlament. Verantwortlich dafür war eigentlich die Schweizer Weltwoche, die schon vor einigen Wochen zur Veranstaltung geladen hatte. Chefredakteur Roger Köppel im Gespräch mit dem deutschen Alt-Kanzler Gerhard Schröder und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in Wien. Thema: Frieden in Europa.

Keiner gewinnt den Krieg

Viktor Orbán hat in Wien viele Fans. Ziemlich frenetisch wurde er begrüßt, mit stehender Ovation und lautem Applaus. Das sollte sich den ganzen Abend über nicht ändern. Protest gab es kaum. Ein älterer Herr schwenkte vor dem Eingang der Sofiensäle, wo die Veranstaltung abgehalten wurde, die EU-Fahne. Am Handgelenk die FFP2-Maske. Es wirkte, als würde er provozieren wollen. Die Gäste belächelten ihn, manche hatten vielleicht sogar Mitleid. Orban dürfte den Gegendemonstranten nicht bemerkt haben.

Etwa 90 Minuten führte Köppel, aktuell einer der wichtigsten deutschsprachigen Journalisten, durch das Gespräch. Wie zu erwarten war, ließ er den beiden Staatsmännern viel Raum. Orbán und Schröder durften ihre Sicht auf Frieden, Russland, die Ukraine, Krieg und Europa vortragen. Kritische Einwände kamen kaum.

Wer sich Neues erwartet hatte, sollte ebenso enttäuscht werden, wie jemand, der viel über die Frage „Wie konnte es dazu kommen“ hören wollte. Trotzdem lieferte das kurzweilige Gespräch durchaus neue Perspektiven. Schröder erzählte, wie er (von ukrainischer Seite!) im Frühjahr 2022 kontaktiert worden war, um Russland und die Ukraine auf einen Tisch zu bekommen. Der Ausgang ist bekannt. Orbán schilderte seine diplomatischen Reisen während der Ratspräsidentschaft. Da war er bei Selenski. Der meinte: „Warum sollen wir aufhören, wir sind gerade am Gewinnen?“ Dann flog er zu Putin. Der sagte: „Wir gewinnen gerade.“

In China sei er am ehesten gehört worden, und vielleicht noch in der Türkei. Die Amerikaner seien mit sich selbst beschäftigt. Aber vor allem:

Die beiden großen Player Europas – Frankreich und Deutschland – wollen nix von einem Waffenstillstand oder gar einem Frieden hören.

Da wurde Orbán fast ein wenig laut: „Europa vermag heute Krieg zu schaffen, aber keinen Frieden“, erklärte er, denn es sei „kein Optimist“.

Es herrsche ein „diplomatischer Analphabetismus und menschlicher Barbarismus“, so der Ungar weiter. Es sei das erste Mal seit dem Krieg gegen die deutschen Faschisten, dass man jegliche Kommunikation zwischen den Kriegsparteien abgebrochen habe. Das sei ein verheerendes Signal. Deutschland signalisierte man damals, man werde es niederringen, bis Berlin gefallen und besetzt ist. „Aber wir wollen doch Moskau nicht besetzen. Oder etwa doch?“, fragte Orbán dann.

Militärisch sei der Krieg verloren, außer man schickt NATO-Truppen in die Ukraine.

Dann müsse man sich aber auch auf „Musterungen in Wien“ einstellen. Österreichs Neutralität kauft offenbar keiner mehr. Die EU-Kommission, Ursula von der Leyen, will nicht hören, dass der Krieg verloren ist. Sie glaubt weiterhin, dass Russland besiegt werden kann. Das sie Russland besiegt.

Leyen sei der wesentliche Treiber des Konflikts von EU-Seite – die großen EU-Staaten fügen sich. Und so setzt Orban seine Hoffnungen in Trump: Wenn die Republikaner das Weiße Haus übernehmen, werde man zügig Fakten schaffen. Die Europäer sitzen dann im Abseits, während die „großen Jungs“ einen Deal machen werden.

Auch Schröder – „Ich wage es kaum zu sagen“ – setzt Hoffnungen in Trump. Auch er erwähnt immer wieder Berlin und Paris. Dort müsse wieder ein Wille zur Diplomatie, ein Wille zum Frieden und zur Gestaltung einkehren. Der Alt-Bundeskanzler sitzt recht gelassen auf der Bühne, zeigt sich entspannt über Angriffe auf seine Person aufgrund angeblicher Putin-Nähe und spricht – so bekommt man das Gefühl– als altes (gerade begrabenes) politisches Gewissen.

Er spricht aus einer Zeit als die Politiker in Europa noch Eigensinn hatten, noch Geschichtsbewusstsein, noch die Bürde der Verantwortung gespürt haben. So weicht er auch provokanten Fragen von Köppel (Wer rettet Deutschland? Sind Europas Politiker von heute geschichtsvergessen und wohlstandverwahrlost?) souverän aus. Schröder ist zu alt, um sich noch aus der Deckung locken zu lassen. Er sitzt auf seinem Hochstand, blickt von oben auf die Dinge. Nicht mal gegen militärische Unterstützung – also Waffenlieferungen an die Ukraine – sei er, aber man hätte diese sofort mit Bemühungen für den Frieden, eben von Paris und Berlin verknüpfen müssen. Ziemlich schwache Agenten hat Putin da im Westen sitzen, denkt man sich, wenn man hört, dass selbst Schröder für eine militärische Verteidigung der Ukraine Verständnis hat.

Bei Fragen nach Russland und Putin wurde Schröder wenig konkret, er erklärte aber, dass es nicht der richtige Weg wäre, psychoanalytische Urteile über Politiker zu fällen. Es gehe um Politik und Interessen. Orban und Schröder waren sich recht einig – sie kennen sich seit bald 30 Jahren.

Am Weg in die Gegenwart sei das Verständnis für Russland und seine Politik vielerorts verloren gegangen. Dort frage man nicht wie im Westen „Wie können wir frei sein?“, sondern man frage zuerst „Wie können wir Russland erhalten?“ So wird im Laufe des Gesprächs auch klar, wie Orbán einerseits für Frieden in Europa (authentisch) sprechen kann, während er Israel bedingungslos unterstützt: Er sieht hier zwei Fronten desselben Krieges gegen das „christlich-jüdische Abendland“.

In der Ukraine würden sich zwei christliche Nationen abschlachten, eine Tragödie, vor allem, während man Muslime nach Europa hole.

Köppel wollte abschließend noch etwas grundsätzlicher werden. Wo ist Platz für Europa? Was kommt? Ein neuer Kalter Krieg oder eine multipolare Weltordnung? Orbán erwiderte, dass man „am Boden“ und konkret bleiben sollte: Wer rettet die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft? Was tun gegen die massiv gestiegenen Energiepreise? Wo sind die starken Spitzenpolitiker, die Brüssel die Grenzen aufweisen? Wenn es so weitergehe wie jetzt, dann erledigt sich Europa gerade selbst. Das seien die wichtigen Fragen.

Schröder – eben in seiner Sprache – klingt abschließend optimistischer: Europa sei immer noch stark und Deutschland müsse nicht gerettet werden. Aber wer in Europa Frieden schaffen soll, diese Frage konnte auch diesmal nicht geklärt werden.

Übernommen von tkp.at, vom Blog für Science & Politik

Quelle

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Unbedingt lesen