StartAktuellesIstván Fekete, der Vertreter der ungarischen „Förster-Jäger-Literatur“

István Fekete, der Vertreter der ungarischen „Förster-Jäger-Literatur“

Vor 125 Jahren wurde István Fekete i(1900-1970) in Gölle, Komitat Somogy, geboren. Neben Jókai ist er der populärste ungarische Schriftsteller aller Zeiten, der meistgelesene Autor der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Generationen sind mit seinen Büchern aufgewachsen. In seinen Werken hat er die Darstellung der Natur und des mit ihr im Einklang lebenden Menschen auf eine literarische Ebene gehoben. Seine Bücher haben sich in Ungarn mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Bis zur Jahrtausendwende wurden seine Werke in 12 Ländern, in 10 Sprachen und in 45 Auflagen veröffentlicht.

Eine Legende

Der Glöckner von Badány, der auch der Messner war, starb im Juli, was nicht so eine weltbewegende Tatsache gewesen wäre, denn auch die Mesner geben nach mehr oder weniger Jahren den Löffel ab, in diesem Fall die Schlüssel, nämlich die Kirchenschlüssel. Das ich das hier erwähne, das hat einen einfachen Grund, denn ohne den Messner wäre aus der Legende nichts geworden, nämlich dass Frau Katharina Futó den lahmen Glöckner drei Tage nach seinem Tod am alten Glockenstuhl, der in der Türkenzeit ein Wachturm war, sonst nicht hätte sehen können.

Die Wirklichkeit aber war, dass sie ihn gesehen hatte! Am helllichten Tag, in demselben Anzug, in dem er begraben wurde, in der einen Hand das Weihrauchgefäß, in der anderen das Glockenseil, das er ab und zu anzog, natürlich nur schwach, aber vor einem Geist konnte man auch nichts anderes erwarten. Das leise Ertönen der Glocke hörte das ganze Dorf. Auch der Totengräber. Zweifel sind also nicht angebracht.

Frau Kati setzte später noch hinzu, dass er Geist des Verblichenen sie sehr traurig anschaute – es ist wunderbar, wie so ein Geist schauen kann -, seine Hände faltete er mit einer inbrünstigen Geste zusammen, was gleichzeitig eine Bitte ausdrücken sollte, doch was der Selige wirklich wollte, das kam nicht ins Tageslicht. Das verstand nicht einmal Frau Kati. Danach verschwand der Geist im Nebel, und nur das Seil schwang unter dem Turm hin und her, obwohl kein Wind wehte, nicht einmal ein Hauch davon.

An diesem besagten Tag hielt ich mich ebenfalls in Badány auf. Zufällig, ich könnte sagen, gegen meinen Willen. Mein Vater wollte Ferkel von dem dortigen Lehrer kaufen, und er setzte mich neben sich, damit er mich im Auge behalte, mit anderen Worten: damit ich die Luft zu Hause nicht verpeste.

„Du sollst auch Schuhe anziehen“, sagte er, damit meine Verzweiflung vo9llständig werde, obwohl um diese Jahreszeit jedes ordentliche Kind schon barfuß ging. Und ohne seinen Vater. Die Reise wäre sonst ganz angenehm gewesen, wenn mein Vater – was für ein Brauch! – mir nicht unangenehme Fragen gestellt hätte. Rechenaufgaben, und welche Länge der Plattensee hätte? Ich hatte den Plattensee bis dahin noch gar nicht gesehen, und mich interessierte weder seine Länge, noch seine Breite.

Ich freute mich, als wir angekommen waren. Ich bewunderte den Ziegenbart des dortigen Lehrers, die einherstolzierenden Tauben auf dem Hausdach, und als die beiden über den Preis der Ferkel einig geworden waren, zeigte mein Vater zur Tür der Schule. „Geh hinein, schau dir die Wandkarten an.“ Sie beide gingen aber in die Wohnung, um den Kauf mit einem Trunk zu bekräftigen.

Im Schulsaal flog welker Blumengeruch umher – an der Wand hingen alte Kränze von den Prüfungen -, und die Fensterscheiben, die keinerlei Verständnis für die hungrigen Fliegen aufbrachten, wurden von diesen heftig gestürmt. Ich schaute mir di Abbildungen an, aber da das Krokodil und der Paradiesvogel dieselben waren, wie bei uns in der Schule auch, wurde es mir langweilig. Ich hätte gern auf die Tafel gemalt, aber es gab keine Kreide. Der Schrank war verschlossen … In der Schublade des Tisches lag ein dicker Haselnussstock. Aha! Auch hier also! Im Übrigen erschien mir der Ziegenbärtige auch nicht sehr vertrauensvoll…

Unter dem Fenster schnatterten die Gänse. Das lenkte meine Gedanken sofort weg von dem Stock, ich öffnete leise das eine Fenster und zog die Schleuder aus meiner Tasche heraus, die gebildetere Menschen auch Gummigewähr nannten. Aber auch wenn sich gebildetere Menschen nicht darauf verstehen, ich jedoch wusste genau, wie man so etwas benutzt. Für die Schleuder sind eigentlich Steine aus einem Fluss vorgesehen, aber in unserer Gegend gab es weder einen Fluss, noch entsprechende Steine. Die Burschen von Badány sangen zwar bei der Rekrutierung: Im Hafen von Badány lieg ein Kriegsschiff vor Anker.

Aber das war nur eine reine und noch dazu übertriebene Einbildung. Der Bach von Badány war voll mit Butterblumen und Vergissmeinnicht – jeder noch so kleine Frosch sprang über ihn hinweg -, und er brachte auch keine Steine hervor. So schoss ich normalerweise mit alten Schrotkugeln, die besser geeignet waren als Steine, du der Winter war noch in weiter Ferne, so dass das Fehlen der Schrotkugeln in dem Jägerranzen noch nicht auffiel.

Die Gänse waren aber weit. Ich guckte mich um. Aus der Wohnung des Lehrers hörte man die Klänge des Harmoniums – er bespaßte also meinen Vater -, und meine Augen blieben an der Glocke stehen. Da stand der alte Turm, kaum zwanzig Schritte entfernt auf einer kleinen, mit Gras bedeckten Wiese, und auf meinen zweiten Schuss hin erklang die kleine Glocke: „Peng!“

Es war ein stiller, nach Heu riechende, sommerlicher Nachmittag. Die einer Querflöte ähnlichen Töne des Harmoniums verbreiteten sich im Haus, also konnten sie auf keinen Fall hören, wenn die kleine Glocke wieder erschrocken aufschrie: „Kling …“

Aber im Dorf hörte man sie, Die jungen Leute arbeiteten zwar auf den Feldern, aber in den Gartentüren erschien die eine alte Frau hier, und eine andere auch dort, sie beschatteten mit ihrer Hand die Augen, damit sie besser sehen konnten und wogen ihren Kopf. Leise Töne des Harmoniums, ein Geruch nach Pfingstrosen, Stille auf den Dachböden mit Spinnweben, alte Herzen und geheime Träume, die von den geheimnisvollen kleinen Klängen angerührt wurden. „Ting …“, sagte erneut die kleine Glocke. „Ting … etwas schlägt mich …“

Aber die alten Frauen konnten das nicht verstehen und machten sich schaudernd auf den Weg zum alten Wachturm, wo Frau Katharina Futó auf sie schon wartete.

Am nächsten Tag, nach dem Mittagessen erschien Stefan Görbic, mein Freund, der auch mein Lehrmeister in allen möglichen Strichen wa4r, in Stiefeln an unserem Tor, was mitten im Sommer und an einem Werktag eine verblüffende Erscheinung war.

„Komm“, sagte er sehr ernst. „Der Messner von Badány erschien unter dem alten Turm. Zuerst spielte er eine Weise mit der Glocke, dann bat er das Volk. dass man für ihn beten sollte, weil er aus dem Opferstock drei Forint und zwölf Kreuzer herausnahm … Komm mit, jeder geht dorthin.“

Also man konnte nicht behaupten, dass „jeder“ dahinging, aber einige alte Frauen schlenderten in Richtung Turm und antworteten den Burschen nicht, die das Heu mähten und dem verstorbenen Glöckner die Nachricht schicken wollten, dass er – wenn man ihn sehen sollte – drüben in der anderen Welt für trockenes Wetter bitten möge, damit das Heu schön trocknen könne…

In den Augen der alten Frauen jedoch schien irgendein Zauber zu lodern, und ich selbst wurde von der unmöglichen Wirklichkeit dieses Zaubers erfasst. Um en Turm herum war es still, manchmal ein leises Flüstern, das Säuseln der schwarzen Röcke mit Erdgeruch, gefaltete, trockene, mit Blutadern übersäte Hände und Augen, die hinauf in die Unendlichkeit blickten. Kamillengeruch und stumme Häuser, hinter den Häusern Schatten, und aus Richtung des Friedhofes eine schwere Staubwolke am Nachmittag.

Mich schüttelte das Schaudern noch am Abend, und ich dachte mit tiefer Anteilnahme an den verirrten Messner, der wegen drei Forint und zwölf Kreuzern in so eine Bedrängnis gekommen war. Obwohl, so eine kleine Summe – dachte ich – hätte auch seine Verwandtschaft wirklich aufbringen können.

Aus dem Buch „Ich war zu Hause“ – Erzählungen und Geschichten aus dem früheren Ungarn von István Fekete. Eine Übersetzung von Dr. Gábor Bayor. Bautz Verlag. 2024.

Bildquelle: nfi.hu Fekete István.

Quelle

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