15. Dezember 2024 Bismarcks Briefe an seine Gemahlin, 23-29. Juni, 1852
Otto von Bismarck verbrachte im Sommer 1852 als Gesandter des Königs von Preußen sieben Tage in Ungarn. Er schrieb Briefe an seine Gemahlin über seine Erlebnisse. Diese Korrespondenz ist nicht nur als ein sprachliches Meisterstück bemerkenswert (das übrigens in deutschen Schulbüchern als Stilprobe für das Genre der Reisebeschreibung noch in den 1930er Jahren zu lesen war. Bismarck verfasste über Ungarn einen regelrechten Reisebericht, mit plastischen Landschafts- und Städtebeschreibungen, prächtigen Schilderungen des Milieus, des Klimas, der Sitten und Trachten, gewürzt mit Erlebnissen, kleinen Strorys, Diese Briefe geben uns auch einen Eindruck von der Atmosphäre in Ungarn nach der blutigen Niederwerfung des Freiheitskrieges von 1848/49.
„So eben komme ich vom Damfschiff und weiss den Augenblick, der mir bleibt, bis (mein Diener) Hildebrandt mit meinen Sachen nachfolgt, nicht besser anzuwenden, als indem ich Dir kleines Lebenszeichen von dieser sehr östlich gelegenen, aber sehr schönen Welt schicke. Der Kaiser hat die Gnade gehabt, mir Quertier in seinem Schlosse anzuweisen, und ich sitze hier in einer grossen, gewölbten Halle am einen offenen Fenster, zu dem die Abendglocken von Pesth hereinläuten.
Der Blick hinaus ist reizend. Die Burg liegt hoch, unter mir zuerst die Donau, von der Kettenbrücke überspannt, dahinter Pesth und weiterhin die endlose Ebene über Pesth hinaus im blaurothen Abendduft verschwimmend. Neben Pesth links sehe ich die Donau aufwärts, weit, sehr weit links von mir, d.h. auf dem rechten Ufer, ist sie zuerst von der Stadt Ofen besäumt, dahinter Berge blau und blauer, dann braunroth im Abendhimmel, der dahinter glüht. In der Mitte bei der Städte liegt der breite Wasserspiegel wie bei Linz, von der Kettenbrücke und einer waldigen Insel (Margareteninsel) unterbrochen.
Auch der Weg hierher, wenigstens von Gran bis Pesth würde Dich gefreut haben. Denke Dir Odenwald und Taunus nahe aneinander gerückt, und der Zwischenraum mit Donauwasser angefüllt. Die Schattenseite der Fahrt war die Sonnenseite, es brannte nämlich, als ob Tokayer auf dem Schiffe wachsen sollte, und die Menge der Reisenden war gross, aber denke Dir, nicht ein Engländer; die müssen Ungarn noch nicht entdeckt haben. Übrigens sonderbare Käuze genug, von allen orientalischen und occidentalischen Nationen, schmierige und gewaschene. Ein recht liebenswürdiger General war meine Hauptreisegesellschaft, mit dem ich fast die ganze Zeit über oben auf dem Radkasten gesessen und geraucht habe.
… Jetzt liege ich im Fenster mondscheinschwärmend… Wärst Du doch einen Augenblick hier und könntest jetzt auch die mattsilberne Donau, die dunklen Berge auf blassrothem Grund, und auf die Lichter sehen, die unten aus Pesth heraufscheinen; Wien würde sehr bei Dir im Preise sinken gegen Buda-Pesth, wie der Ungar sagt; Du siehst, ich bin auch Naturschwärmer…
Vorige Nacht wurden es nur 4 Stunden Schlaf, und der Hof ist schauerlich matinös hier; der junge Herr (der Kaiser) selbst steht um 5 Uhr auf, da würde ich also ein schlechter Höfling sein, wenn ich sehr viel länger schlafen wollte. ….
Nachdem ich sehr gut, obschon auf einem Keilkissen geschlafen habe, sage ich Dir guten Morgen. Die ganze Landschaft vor mir schwimmt in so heller, brennender Sonne, dass ich gar nicht hinaussehen kann ungeblendet. Bis ich meine Besuche beginne, sitze ich hier einsam frühstückend und rauchend in einem sehr geräumigen Lokal, vier Zimmer, dick gewölbt. … Ein sehr freundlicher, alter Diener in hellgelber Livree bedient mich; überhaupt sind die Ungarn sehr liebenswürdig.
Das Dampfschiff fuhr gestern dem Vertreter des Königs zu Ehren unter grosser preussischer Flagge, und Dank dem Telegraphen, wartete Kaiserliche Equipage am Landungsplatz. Unten treiben auf langen Holzflössen die sonderbarsten braunen, breithutigen und weithosigen Gestalten die Donau entlang, Es thut mir leid, dass ich nicht Zeichner bin, diese wilden Gesichter, schnurrbärtig, langhaarig, mit den aufgeregten schwarzen Augen und der einzig malerischen Draperie, die an ihnen hängt, hätte ich Dir gern vorgeführt, wie sie gestern den Tag über mir unter die Augen kamen.
Die Weiber sind im ganzen gut gewachsen, einige ausgezeichnet schön; alle haben pechschwarzes Haar, nach hinten in Zöpfen geflochten, mit roten Bändern darin. … Im ganzen gewährt so ein Trupp ein Farbenspiel, das Dir gefallen würde; jede Farbe am Anzug so energisch, wie sie sein kann.
Abends: Wieder scheinen die Lichter aus Pesth herauf, am Horizont nach der Theiss zu blitzt es, über uns ist es sternenklar. Ich habe heut viel Uniform getragen, in förmlicher Audienz dem jungen Herrscher dieses Landes meine Creditive überreicht, und einen sehr wohltuenden Eindruck von ihm erhalten. Nach der Tafel wurde vom ganzen Hofe eine Excursion ins Gebirge gemacht, zur „schöner Schäferin”, die aber lange todt ist, der König Mathias Corvinius liebte sie vor etlichen hundert Jahren. Man sieht von da über waldige, neckaruferartige Berge auf Ofen. dessen Berge und die Ebene.
Ein Volksfest hatte tausende hinangeführt, die den Kaiser, der sich unter sie mischte, mit tobenden „eljen”(evviva) umdrängten, Csardas tanzten, walzten, sangen, musicirten, in die Bäume kletterten und den Hof drängten Auf einem Rasenabhang war ein Soupertisch von etwa 20 Personen, nur auf einer Seite besetzt, die anderen für die Aussicht auf Wald, Burg, Stadt und Land frei gelassen, über uns hohe Buchen mit kletternden Ungarn in den Zweigen, hinter uns dicht gedrängtes und drängendes Volk in nächster Nähe, weiterhin Hörnermusik mit Gesang wechselnd, wilde Zigeunermelodien. Mondschein und Abendroth, dazwischen Fackeln durch den Wald; das Ganze konnte ungeändert als grosse Effectscene in einer romantischen Oper figuriren.
Neben mir sass der weisshaarige Erzbischof von Gran, Primas von Ungarn, auf der anderen Seite ein sehr liebenswürdiger, eleganter Cavalleriegeneral. Du siehst, das Gemälde war reich an Contrasten.
Dann fuhren wir unter Fackelescorte im Mondschein nach Hause.“
Aus dem „Tagebuch einer Woche (23. bis 29. Juni 1852) in Briefen Otto von Bismarcks“, Budapest, 1988.