18. August 2024 Aus der Istváns-Legende
Der 15. August, der Tag der Himmelfahrt der Jungfrau Mariä, ist der wichtigste Marienfesttag in der katholischen Kirche. In Ungarn wurde der Marienkult im universellen Christentum mit einem spezifisch ungarischen Namen und einer spezifisch ungarischen Konnotation angereichert: Der Name der Jungfrau Mariä „Nagyboldogasszony“ spiegelt ein uraltes religiöses Erbe wider, in dem von der neuen Religion definierten Kulturkreis erhielt die Jungfrau Maria eine sakrale politische Rolle, sie wurde zur himmlischen Beschützerin und Patronin Ungarns. An ihrem Festtag im Jahr 1038 starb der erste ungarische König, István.
Als König István sein Ende nahen sah, regelte er zunächst die Angelegenheiten des Königreichs mit den Irdischen, dann wandte er sich an die Himmlischen: „Königin des Himmels, glorreiche Erneuerin der Welt, mit dieser letzten Bittgebet übergebe ich Deinem Schutz die heilige Kirche mit ihren Bischöfen und Priestern, das Königreich Ungarn mit seinen Oberhäuptern und seinem Volk, da ich mich von ihnen verabschiede, übergebe ich meine Seele in deine Hände. “ Er starb am 15. August 1038, dem Tag der Himmelfahrt der Jungfrau Mariä, im Alter von 56-58 Jahren.
König István wurde voll der Heiligkeit und der Gnade im 46. Jahre seines Reiches, am Festtage der Himmelfahrt der seligen Jungfrau Maria aus dieser Welt entrückt und der Schar der heiligen Engel zugesellt. Sein Leib aber wurde in der Kirche zum Königssitz Székesfehérvár bestattet, die er selbst zu Ehren der heiligen Mutter Gottes erbaut hatte. n seiner Beerdigung nahmen zahlreiche Menschen aus allen Regionen Pannoniens teil. Dortselbst geschehen viel Zeichen und Wunder durch die guten Werke des Königs István zum Lob und Ruhm unseres Herrn Jesu Christi, der gesegnet ist in alle Ewigkeit.
Der gesegnete Leichnam ruhte fünfundvierzig Jahre lang an demselben Ort, durch die „wunderbare und geheime (secreto) Vorsehung“ Gottes. In der letzten Nacht der dreitägigen Fastens vor der Erhebung der Gebeine des heiligen István durch König László (1077-1095) kam Christus zu seinem Volk. Und alsbald häuften sich im weiten Gotteshause die göttlichen Wunderzeichen, dass man die Worte des Herrn an die Jünger Johannis des Täufers wiederholen kann: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Tauben hören, die Aussätzigen werden reine, die Krüppel grade, die Gelähmten heil.“ Doch wir müssen uns damit begnügen, nur einiges hiervon zu berichten.
Es war da auch ein Jüngling, der konnte kein Glied rühren, denn er war seit zwölf Jahren gelähmt und konnte seine Hände und Füße nicht gebrauchen. Von seinen Eltern wurde er dorthin gefahren. Er gewann die Gesundheit seines ganzen Leibes zurück als der erste, an dem die Wunderkraft sich zeigte. Und rasch zum Altar eilend, mehrte er die Freude derer, die da Christum lobpriesen.
Auch war da ein siebenjähriger Knabe, dem von Geburt an die Sehnen zusammengezogen waren, und er konnte nur auf Knien und Händen kriechen. Den brachten seine Eltern in gläubigem Vertrauen auf die Fürsprache des Heiligen, warfen sich neben dem Grabe zu Boden, legten den Knaben daneben und flehten um die Gnade des Herrn. Und alsbald sahen sie mit Staunen, wie seine zusammengezogenen Sehnen sich lösten. Und alle sahen, wie sich seine Knie und Füße festigten und er aufrecht einherschritt. Da priesen sie Christum mit Lobgeschrei.
Er selbst aber, der fromme König László, brach in seiner übermäßigen Freude darüber in Tränen aus, hob den Knaben mit seinen Händen vom Boden auf und trug ihn zum Altar. Dort dankte er dem Herrn mit einem Lobgesang für die Genesung des Knaben, mit allen, die dort waren.
So hat Gott die Nacht erhellt durch das Aufleuchten zahlreicher Wunderzeichen zum Ruhme seines Knechtes. Das Volk aber, unter Fasten und Beten, verkündete lobsingend jedes neue Wunder.
Am fünften Tage nach Mariä Himmelfahrt (am 20. August) versammelten sich in der Kathedrale der König, die Herren, die Bischöfe und der Klerus. Sie hielten zuerst eine Totenmesse. Danach hoben sie den aus dem Fußboden herausragenden Marmorblock empor, und als sie an das Grab kamen, umgab sie alle ein süßer Duft, als weilten sie in den Wonnen des himmlischen Paradieses. Der Sarg aber war gefüllt mit einem rötlichen, wie mit Öl vermischten Wasser. Und darin, wie in flüssigem Balsam, ruhten die heiligen Gebeine. Die sammelten sie in das reinste Linnen. Lange suchten sie in der Flüssigkeit nach dem Ringe, der auf die Rechte des heiligen Mannes gesteckt war. Und weil sie ihn nicht fanden, begannen einige auf Befehl des Königs das Wasser, welches im Sarge war, in silberne Krüge und Gefäße zu füllen, um so den Ring leichter finden zu können. Aber je mehr sie schöpften, um so mehr füllte sich wunderbarerweise der Sarg. Als sie des Wunders gewahr wurden, gossen sie das ausgeschöpfte Wasser zurück zu seinen Ort, und die Flüssigkeit im Sarge stieg trotzdem nicht höher, Und noch lange Zeit nach jenem Tage mehrten sich die Wunder am Sarge des Heiligen, die wir nicht alle aufzählen können.
Ein Wunder will ich noch am Ende der Handschrift anfügen: wie durch das wunderbare Geschenk der göttlichen Gnade des Königs Ring, der lange gesucht, aber nicht gefunden wurde, schließlich zugleich mit der Rechten des seligen Mannes drei Jahre nach der Überführung ans Tageslicht kam.
Ein Mönch namens Mercurius, der als Kleriker Hüter des Schatzes der Heiligen Jungfrau gewesen war und aus Liebe zum himmlischen Reiche der Welt entsagt hatte, ward in derselben Stunde, da man den Grabhügel öffnete, durch königlichen Befehl fortgeschickt, darüber zu wachen, dass währenddessen von den heiligen Reliquien nichts geraubt würde.
Als er traurig im Chore saß, gab ihm ein Jüngling in weißem Gewand ein zusammengefaltetes Tuch mit diesen Worten: „Dieses gebe ich dir, damit du es aufbewahrest, bis die Zeit gekommen ist und es dann offenbarest.“
Nach Erfüllung des heiligen Amtes öffnete der Mönch in einem Winkel des Hauses das Tuch und erblickte zu seinem Schrecken die unversehrte Hand des heiligen Istváns mit einem herrlich gearbeiteten Ring. Er nahm die Reliquie mit sich in das Kloster, das der König seiner Leitung anvertraut hatte, und niemand außer ihm wusste davon. So wartete er die Zeit ab, wie ihm der Jüngling gesagt hatte. Da wachte er lange über dem im Acker verborgenen Schatz. Später zog er die Stifter des Klosters ins Vertrauen, und als endlich die Zeit kam, alles zu offenbaren, teilte er es dem König mit. Der berief seine Bischöfe und die Ersten des Reiches und bestimmte, da Christus dort viele Wunder gewirkt hatte, einen Tag für die Feier der Erhebung der Rechten Istváns des Heiligen.
(Ende des 11. Jahrh, aus dem Lateinischen)
Quelle: Ungarns Geschichte und Kultur, hrsg. von Julius von Farkas, 1955