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Der Kultur verpflichteter Graf: Ferenc Széchényi

4. September 2025 IRÉN RAB

Die achte Generation des Bibliotheksgründers Ferenc Széchényi (1754-1820) etwa hundert Nachkommen, versammelten sich am 25. August 2024 in der Nationalen Széchényi-Bibliothek.
Es ist eine große Ehre für die Nationalbibliothek, dass die Nachfolger ihres Gründers es für wichtig halten, etwas über das kulturelle Erbe Ungarns zu erfahren und so symbolisch Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden. Die Nationalbibliothek ist der Absicht ihres Gründers Ferenc Széchényi verpflichtet, das wachsende ungarische Kulturerbe zugänglich zu machen und für die Nachwelt zu erhalten.

Zur Gründung der Ungarischen Nationalbibliothek

Die in den drei Bänden veröffentlichte Sammlung von Hungarica – „Catalogus Bibliothecae Hungaricae Francisci com. Széchényi” – die 7000 Bände umfasst, hatte Graf Ferenc Széchényi am 15. November 1802 der ungarischen Nation zum Geschenk gemacht. .Die ersten beiden Bände waren 1799 in Sopron erschienen und der dritte Band, der Index, 1800 in Budapest. Den auf eigene Kosten gedruckten Katalog hingegen verschickte er in ganz Ungarn und Europa,

um die gebildete Welt über die kulturellen Werte des Ungartums zu informieren sowie darüber, dass am 10. Dezember 1802 die von ihm gegründete öffentliche Ungarische Nationalbibliothek ihre Tore öffnete, die heute Széchényis Namen trägt.

Die Stammsammlung der Bibliothek umfasste diejenigen Bücher mit ungarischem Bezug, die ab 1712 auf dem jeweiligen Gebiet Ungarns und ab 1601 im Ausland erschienen waren, seitdem ist sie auf 4 Millionen Bände angewachsen. Hinzu kommen eine Sammlung von 400 000 Jahrgängen von Zeitungen und Zeitschriften, 800 Incunabeln, 13000 Drucken aus dem 16. und 8500 aus dem 17. Jahrhundert sowie fast anderthalb Millionen Dokumente der Handschriftensammlung.

Unter den Dokumenten der Handschriftensammlung befinden sich auch die fast 700 bisher größtenteils unveröffentlichten Briefe aus den Jahren 1803-1805, mit Danksagungen an Széchényi für die als Geschenk übersandten Kataloge. Diese Dankesbriefe sind sehr wertvoll, denn sie wurden von herausragenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur in Europa und Ungarn geschrieben, auf des Grafen Bitte hin. Ihn hatte nicht das Verlangen nach Danksagungen, sondern erneut die Sammelleidenschaft dazu bewegt: „Cuperem enim Virorum de Re Literaria Patriae nostrae Charissimae, praeclare hac mea aetate Meritorum Chirographa in unum volumen collecta, in eandem Bibliothecam reponere.” (Ich würde gerne die Handschriften von Männern, die im wissenschaftlichen Leben unserer teuren Heimat zu meiner Zeit große Verdienste errungen haben, in einem Bande gesammelt in der Bibliothek platzieren.) „Benachrichtigen Sie mich in einem auf einem Bogen Papier eigenhändig in beliebiger Sprache geschriebenen kurzen Brief” – lautete Széchényis Bitte.

‚Benachrichtigen Sie mich in einem Brief‘ – das ist auch der Titel des anlässlich des 210. Jubiläums der Bibliothek erstellten imposanten Bandes, der von zwei Mitarbeiterinnen der Széchényi Nationalbibliothek Ungarns, Eszter Deák und Edina Zvara, mit fachlicher Gründlichkeit zusammengestellt wurde. Der auf Offsetpapier gedruckte, illustrationsreiche Band erinnert in seiner Aufmachung an ein Kunstalbum, ist jedoch in inhaltlicher Hinsicht ein Quellenverzeichnis, eine Sammlung bisher unveröffentlichter Autographien vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Es ist kein Zufall, dass er 2013 in Ungarn als das am schönsten ausgestaltete und wertvollste Buch ausgezeichnet worden ist.

Das Buch besteht aus vier größeren Kapiteln auf 280 Seiten. Die einleitende Studie – Seine seltene und reiche Sammlung schenkte er der Heimat – macht den Leser mit Széchényis Lebenslauf bekannt:

Wie wurde aus dem Freimaurer und aufgeklärten jungen Freiherrn ein Anhänger Josephs II, und wie wurde er als Ungar dem Kaiser abtrünnig, in dessen absolutistischen Zielen zur Einigung des Reiches er eine Unterdrückung der ungarischen nationalen Interessen und Bestrebungen sah ?

Seine Europa-Rundreise, die er 1786-87 unternahm, überzeugte Széchényi von seiner wahren Aufgabe: Die westlichen Vorurteile den Ungarn gegenüber lassen sich nur durch Aufzeigen der ungarischen kulturellen Werte überwinden. Dazu müssen die vorhandenen kulturellen Leistungen zusammengetragen, und die Literaten Ungarns unterstützt werden. Als Mäzen bot Széchényi den Geistesschaffenden der Zeit Geld, Arbeit und Möglichkeiten an, als der Kultur verpflichteter Graf begann er die Hungaricumliteratur zu sammeln und zu sichten. Mit der Versendung des erstellten Kataloges beabsichtigte er, die Nachricht über die Gründung der Ungarischen Nationalbibliothek zu übermitteln und zu erreichen, dass in den größeren Bibliotheken Europas – wenn schon nicht das Buch selbst – wenigstens ein Gesamtkatalog Ungarn betreffender Bücher stehen würde.

Das Namensverzeichnis am Ende des Bandes zählt in alphabetischer Folge 553 Personen und 115 Institutionen auf, die zu den Beschenkten gehörten. Unter anderem erhielten die Universitäten in Jena, Dresden, Berlin, Halle, Oxford und Prag einen Katalog. Nach Göttingen, das der Graf 1786 besucht und dessen Universitätsbibliothek er als musterhaft beurteilt hatte, sendete er 5 Exemplare: an die Bibliothek und die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften, Die Königliche Gesellschaft zu Göttingen hat denedlen, für Vaterland und Studien patriotisch gesinnten Herr Graf” Ehrenmitglied gewählt.

Auch der König, die Erzherzöge und alle bedeutenden Politiker des Wiener Hofes erhielten den Katalog. Die Liste der Empfänger in Ungarn wurde ohne Hinblick auf Glauben, Rang und Nationalität zusammengestellt: Autoren und Wissenschaftler, deren Werke im Katalog auftauchten, bekamen selbstverständlich ein Exemplar. Ebenso Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die ihrem Rang nach zu den potenziellen Unterstützern der ungarischen Kultur zählten oder Propaganda für die ungarische Kultur machen konnten. Auch Städte, Komitate, kirchliche und kulturelle Einrichtungen und die Vertreter der auf dem Gebiet des Ungarischen Königtums lebenden Nationalitäten – Kroaten, Serben, Slowaken, Rumänen – erhielten Exemplare des Katalogs. Das Namensverzeichnis bietet ein umfassendes Bild vom kulturellen und geistigen Stand der Epoche: es eignete sich auch als Gegenstand einer soziologischen Erhebung.

Das zweite Kapitel des Bandes liefert eine Auswahl der ungarischen oder ins Ungarische übersetzten Antwortbriefe, das dritte Kapitel hebt einige interessante Beispiele der nicht-ungarischsprachigen Briefe hervor: die lateinischen Zeilen von Papst Pius VII. oder eben von Nicolai, Heyne und Schlözer, ferner deutsche, tschechische und serbische Antwortbriefe, immer mit genauen Angaben der Fundstellen in den Archiven. Oft ist den Briefen ein Foto der Handschrift und ein Portrait des Schreibers beigefügt, im vierten Kapitel sind kurze Lebensläufe der Briefschreiber zu lesen. Umfang und Stil der veröffentlichten Briefe variieren. Ein Autor grüßt Széchényi in Gedichtform, ein anderer nutzt die Gelegenheit, um die Möglichkeiten des ungarischen kulturellen Aufstiegs lang zu erörtern, ein weiterer bietet die eigene Sammlung zur Erweiterung der Bibliothek an.

Die Briefe stellen die authentischste zeitgenössische Würdigung der patriotischen Tat Ferenc Széchényis dar: mehrmals wird er mit Matthias Corvinus verglichen, die Gründung der Bibliothek wiederum wird als Weiterführung der Bibliotheca Corviniana gewertet, die Ungarn wieder dem europäischen Kulturkreislauf anschließen könne.

Die Dankesbriefe aus Ungarn spiegeln auch die öffentliche Meinung und das Hungarus-Bewusstsein wider: die Bibliothek ist das gemeinsame geistige Eigentum des gesamten in dieser Heimat lebenden Volkes.

Der zeitgenössische August Ludwig Schlözer, Professor an der Universität Göttingen, der als Experte für ungarische Fragen galt, würdigte warm die Verdienste des Buches: „So hat die Ungrische Nation zu einem so vollständigen Apparatu litterario Hoffnung, dessen gleichen sich wenig andere Nationen zu rühmen haben.”

Die Rezension erschien in Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte, 2016

Autorin, Dr, phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Quelle

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