StartNachrichtenUnternehmen Margarethe: die deutsche Besetzung Ungarns, am 19. März 1944

Unternehmen Margarethe: die deutsche Besetzung Ungarns, am 19. März 1944

19. März 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Ich schätzte deutsche Dokumentarfilme über den Zweiten Weltkrieg sehr. In den Archiven gab es viel Originalmaterial und die Professionalität der Filmteams war stets hervorragend. Es gab keine Fehler in der Darstellung der Waffengattungen, der Zahlen, der Operationen selbst. Pearl Harbour, die Landung in der Normandie, die Wüstenoperationen und sogar die Schlacht von Stalingrad wurden in einer fairen, distanzierten Art und Weise behandelt, während darauf geachtet wurde, die Bezeichnung „Deutsch“ so wenig wie möglich zu verwenden. Stattdessen wurde als Synonym „Nazi“ verwendet, und die Nazis wurden für die Verwüstungen des Krieges verantwortlich gemacht, als ob sie, die Deutschen, nicht dabei gewesen wären. Nur die Nazis und natürlich die Ungarn, die mit den Nazis kollaborierten, waren dabei, angeführt vom Reichsverweser Horthy, Hitlers erstem und letztem Gefolgsmann. Sie konnten dies mit solch einem Nachdruck artikulieren, dass das Messer eines Ungarn sich im Sack sofort öffnete und alles, was er bis dahin gehört hatte, plötzlich in Misskredit geriet.

Wir wissen, dass sich die Deutschen nicht einmal ihrer eigenen Geschichte besonders bewusst sind. Deshalb dachte ich, dass ich sie ein wenig in die Vergangenheit eintauche.

Sie brauchten Ungarn wegen seiner Lage, wegen seiner Rohstoffe und Nahrungsmittel, und sie brauchten die Ungarn, die etwa eine halbe Million Soldaten, welche sie in den Fleischwolf eines hoffnungslosen Krieges werfen wollten.

Sie überfielen ihre eigenen Verbündeten, weil sie ihnen nicht trauten.

Die Ungarn wollten nämlich ihre Soldaten von den deutschen Fronten zurückbeordern, um nach alter Tradition ihr eigenes Land zu verteidigen, sie verhandelten heimlich einen Sonderfrieden mit den Briten aus und gingen in der Judenfrage auch ihre eigenen Wege.

Trotz aller nachträglichen Anschwärzungen und Verdrehungen war Ungarn der letzte Zufluchtsort für Juden in Mitteleuropa. Die Nachwelt hat dem nationalkonservativ-christlichen Regime, das Horthys Namen trug, den Beinamen antisemitisch und faschistisch angehängt. Eine Nachwelt, die einen Sündenbock brauchte und dem Regime Horthys seine antikommunistischen Aktivitäten nie verziehen hat.

Der Plan für die Invasion stand bereits Ende 1943 fest, nachdem SS-Brigadeführer Edmund Veesenmayer, ein Diplomat und Spion, einen Erkundungsbesuch in Budapest absolviert hatte. Veesenmayer verfasste einen schön langen internen Informationsbericht über das Land, die Politiker, die Ungarn im Allgemeinen und darüber, wie die Ungarn so sind.

Er zeigt, dass Ungarn von 1526 bis 1918 nie ein unabhängiger Staat war. Es soll nie die Kraft oder den Willen dazu gehabt haben, sagt der deutsche Spion, allerdings hätten die Ungarn immer rebelliert und alles sabotiert, ihre Daseinsberechtigung sei der risikolose Widerstand. Das ungarische Volk soll unfähig zu einem eigenen nationalen Leben sein, und deshalb gäbe es auch keine ungarische Nation und keine ungarische Nationalkultur. In diesem Land sollen die deutsche Wissenschaft und die deutsche Kultur immer vorherrschend gewesen sein, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Veesenmayer will auch gewusst haben, dass Ungarn keine Freunde hatte, dass jeder sein Feind war, vor allem aber die Völker, die an seinen Grenzen lebten. Das einzige Volk, mit dem die Ungarn gut auskamen, waren seiner Meinung nach die Juden. Für uns, welche die deutsche Denkweise kennen, war das alles andere als schmeichelhaft, ebenso wie die zusammenfassende Meinung, dass

Dieser Veesenmayer-Bericht wurde zur Grundlage fürs Unternehmen Margarethe, dem Plan für die deutsche Invasion in Ungarn. Der ungarische Geheimdienst, mit den anerkannt besten Kryptographen der Welt, entschlüsselte zwar die Geheimcodes sofort, aber die Zuständigen weigerten sich, es zu glauben, weil die Deutschen ja unsere Freunde seien und sie sagten, sie hätten keine solchen Absichten!

Am 17. März 1944 folgten der Reichsverweser Horthy und seine drei wichtigsten Männer deswegen fast ahnungslos Hitlers Einladung. Horthy hätte misstrauisch sein müssen, denn auch Buda war 1541 unter dem Vorwand einer Einladung von den Türken eingenommen worden. Während der Kleinkind-König und die ungarischen Aristokraten im Zelt des Sultans Kaffee oder wie man damals sagte, die schwarze Suppe tranken, drangen die Janitscharen in die Burg von Buda ein und blieben dort 150 Jahre lang. (Nach historischen Traditionen luden die Russen 1956 auch die Revolutionsführer zu Verhandlungen ins sowjetische Hauptquartier in Tököl ein, um sie dort sofort verhaften zu lassen.)

Der Reichsführer sagte, wenn sie nicht auf die deutschen Forderungen eingingen,  indem sie z.B. keine nationalsozialistische Kollaborationsregierung einsetzten, würde mit Sicherheit die Besetzung das Landes folgen. Er warf auch das übliche Erpressungspotential ein, dass die Rumänen und Slowaken eingeladen werden könnten, sich an der Besetzung zu beteiligen. Horthy sagte, dass er einen solchen Ton nicht dulden würde, und verließ dort den Führer. Wenn er seine Pistole zur Hand gehabt hätte, hätte er ihn vielleicht erschossen.

Horthy war eine souveräne Persönlichkeit, er war nicht nur Politiker, sondern auch Soldat, Oberbefehlshaber der kaiserlichen und königlichen Marine in dem großen Krieg, in dem der deutsche Reichsführer nur den Rang eines Gefreiten erklimmen konnte. Der ehemalige Gefreite respektierte, fürchtete und hasste Horthy aus den Tiefen seiner Vergangenheit heraus für seine konsequente und durchsetzungsfähige Art.

Die Operation kam aus vier Richtungen: Serbien, Kroatien, Slowakei und Österreich. Es war eine Präzisionsinvasion, bei der bewaffnete deutsche Truppen strategisch wichtige Punkte, Flugplätze, Eisenbahn- und Straßenbrücken, Militärgarnisonen und Industriegebiete besetzten. Widerstand wurde nicht geleistet, denn angesichts der deutschen militärischen Überlegenheit wäre er ein unnötiges Blutopfer gewesen.

Hitlers Verhalten uns gegenüber war eine so bodenlose Niederträchtigkeit, dass es uns von allen zukünftigen Verpflichtungen gegenüber Nazi-Deutschland entbindet„, sagte Miklós Horthy.

Die nach Ungarn entsandten deutschen Strafverfolgungs- und Sicherheitskräfte trafen mit einer vorab erstellten Namensliste ein, und die Verhaftungen begannen noch am Tag des Einmarsches.

Die Verhaftungen wurden ohne Unterbrechung durchgeführt, und dank deutscher Gründlichkeit und Organisation waren die Tore, an denen die Kommandos den Feind finden würden, im Voraus markiert. Feind war jeder, der nicht für die Nazis war. Und davon gab es viele in den führenden Kreisen Ungarns. Die zivile Regierung wurde abgesetzt und durch nazifreundliche Quislinge ersetzt, ebenso wie die wichtigsten staatlichen Stellen.

Nach der deutschen Besatzung wurden mehr als hundert Rechtsvorschriften erlassen, die

Der numerus nullus, die totale Entrechtung und Entmündigung der Juden, wurde verordnet. Das Sondereinsatzkommando, gemeinhin als Eichmann-Kommando bekannt, deportierte unter eifriger Mitwirkung pro-nazistischer Ungarn zunächst die Juden auf dem Land. Budapest hätte folgen sollen, das wurde aber Anfang Juli von Horthy und seinen Mitstreitern, die nur über begrenzte Macht verfügten, verhindert. So betrug der Verlust „nur“ sechshunderttausend Menschen.

Edmund Veesenmayer, Hitlers Bevollmächtigter im besetzten Ungarn, wurde in den verschiedenen Volksgerichtsprozessen als Zeuge vernommen. Er wurde in Nürnberg angeklagt und 1949 zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Fünf Jahre später war er auf freiem Fuß und sofort in der deutschen Geschäftswelt heimisch, wohlhabend und ein angesehener Bürger.

Die von der Gestapo verhafteten Ungarn – diejenigen, die Folter, Inhaftierung und Deportation überlebten – wurden nach der „Befreiung“ in der Regel in sowjetische Gefangenschaft gebracht und endeten zu jahrzehntelanger Zwangsarbeit irgendwo im Gulag. Ihre politische Rehabilitierung erfolgte erst nach dem Regimewechsel, nach 1989, meist posthum.

Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240319-a-margareta-terv-magyarorszag-nemet-megszallasa

Quelle

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Unbedingt lesen