Am 25. Juni 2025 brach der ungarische Astronaut Tibor Kapu im Rahmen der Axiom Space Ax-4-Mission zur Internationalen Raumstation (ISS) auf – ein historisches Ereignis, 45 Jahre nach dem letzten ungarischen Raumflug. Der anerkannte Experte für Raumfahrtkommunikation, László Bacsárdi gab in einem Interview für Ungarn Heute Einblicke in die Sicherheitsaspekte der Mission, ihre wissenschaftlichen Ziele und die Bedeutung der ungarischen Raumfahrt.
- Tibor Kapu startet heute zur ISS. Wie gefährlich ist diese Reise?
Bemannte Raumfahrt ist immer eine Angelegenheit voller Herausforderungen. Tibor Kapu wird als Mitglied einer vierköpfigen Crew an der Axiom Space Ax-4-Mission teilnehmen. Die Nummer „4“ signalisiert, dass es bereits drei erfolgreiche Vorgängermissionen gab. Sowohl Axiom Space als auch die NASA verfügen über beträchtliche Erfahrung darin, den Komfort und die Sicherheit der Astronauten während des Raumflugs zu gewährleisten.
Dank des erheblichen technologischen Fortschritts sind die Missionen heute weniger anfällig für Unglücke, wie sie in den Anfangstagen der Raumfahrt geschahen – man denke an die Tragödie von Apollo 1 oder die beiden Space-Shuttle-Katastrophen der Challenger (1986) und Columbia (2003). Die heutigen Systeme sind viel ausgereifter. Dennoch ist der Übergang in den Weltraum eine Begegnung mit einer völlig anderen physikalischen Umgebung, auf die Astronauten intensiv vorbereitet werden müssen.
Die Auswahl von Tibor Kapu im Rahmen des HUNOR-Programms war ein umfassender Prozess mit zahlreichen Tests und Trainings. Er ist sowohl psychologisch als auch physiologisch bestens auf die anstrengende Reise vorbereitet.
- Tibor Kapu wird auf der ISS etwa 25 ungarische Experimente in zehn verschiedenen Wissenschaftsbereichen durchführen. Wie wurden diese ausgewählt?
Der ungarische Astronaut reist im Rahmen des Programms „Hungarian to Orbit“ (HUNOR) des ungarischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und Handel ins All. Die Zusammenstellung des wissenschaftlichen Programms wurde der HUNOR-Organisation unter dem HUN-REN Forschungszentrum übertragen.
Die Tatsache, dass nach 45 Jahren wieder ein ungarischer, noch dazu ein Forschungsastronaut, ins All fliegt, ist für alle eine große Freude. Charles Simonyi, ein amerikanisch-ungarischer Staatsbürger, besuchte zwar 2007 und 2009 die Internationale Raumstation und führte Experimente durch, war aber eher ein Weltraumtourist als ein Forschungsastronaut.
Als das HUNOR-Programm 2021 ausgeschrieben wurde, war ein zentraler Aspekt, nicht nur einen Touristen, sondern einen Astronauten zu entsenden, der wissenschaftliche Experimente durchführen kann. Dies ist entscheidend, da Forscher zwar viele Ideen für Experimente haben, der Zugang zu Astronautenzeit an Bord der ISS jedoch immer kritisch und begrenzt ist. Daher muss die Zeit der Astronauten effizient genutzt werden.
Da ein ungarischer Astronaut fliegt und seine Reise von unserem Land finanziert wird, kann Ungarn über seine Weltraumzeit verfügen.
Deshalb wurde im Rahmen des HUNOR-Programms eine Ausschreibung gestartet, bei der verschiedene Experimententwürfe sowie Vorschläge für öffentlichkeitswirksame (Public Outreach) Aktivitäten eingereicht werden konnten. Beispiele hierfür sind ein geplanter Funkkontakt mit Tibor Kapu, bei dem er Fragen von Schülern beantworten wird, sowie die Möglichkeit für Menschen, ihre Namen und Fotos auf einer „Bordkarte“ mit ins All zu schicken. Diese Maßnahmen dienen der Popularisierung der Raumfahrt.
Zu den Experimenten kann ich mich nur allgemein äußern. Eines der Kriterien bei der Experimentauswahl war die Fähigkeit des Astronauten zur Durchführung an Bord der ISS. Tibor Kapu wurde intensiv eingewiesen und hat die Abläufe geübt. Bei einem Experiment ist es beispielsweise wichtig, eine Tätigkeit rhythmisch auszuführen, wofür der Experimentleiter extra ein Musikstück komponieren ließ, das den Takt vorgibt.
Ein weiterer Aspekt ist der Transport der Experimente zur ISS. Die Logistik spielte eine Rolle, da die Experimente Platz- und Gewichtsbeschränkungen unterliegen und die Ergebnisse auch zur Erde übertragen werden müssen. All diese Faktoren haben die Art der durchführbaren Experimente begrenzt.
Eine Einschränkung bildete, dass unser Astronaut keinen Weltraumspaziergang unternehmen wird, weshalb Experimente, die Außenarbeiten erfordern, ausgeschlossen waren. Ein weiterer Aspekt bei der Experimentauswahl war, dass sie nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch in einer relativ kurzen Zeitspanne – von der Antragsannahme bis zur Mission – realisierbar sein mussten.
Zudem mussten alle Experimente von der NASA akzeptiert und genehmigt werden, da Tibor Kapu mit Axiom Space und einer SpaceX-Rakete fliegt, die NASA aber eine zentrale Rolle in diesem Projekt spielt.
- Auf der Mission werden insgesamt rund 60 wissenschaftliche Experimente aus 31 Ländern durchgeführt, was einen Rekord darstellt. Die 25 ungarischen Experimente sind daher zahlenmäßig herausragend. Warum stellen wir mehr als ein Drittel der Experimente?
Dies liegt daran, dass Ungarn als Finanzier der Mission über die Zeit des Astronauten verfügen kann, abzüglich der obligatorischen Aktivitäten (z.B. Schlaf und Bewegung) auf der ISS.
Ungarn ist Mitglied der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Bei der Astronautenauswahl der ESA gab es auch ungarische Bewerber, die jedoch nicht in das ESA-Programm aufgenommen wurden. Zusammen mit Tibor Kapu reist ein polnischer Astronaut, Sławosz Uznański-Wiśniewski, der jedoch nicht von Polen, sondern von der ESA entsandt und finanziert wird, daher werden seine Forschungsprogramme auch von dieser Agentur bestimmt.
- In den vergangenen Jahrzehnten wurden 140 ungarische Weltraumgeräte im Rahmen verschiedener Weltraummissionen ins All gebracht, entweder von anderen Nationen oder im Rahmen internationaler Missionen. Ist das eine beachtliche Zahl für Ungarn?
Absolut. Mitte Mai tauschte ich mich auf einer europäischen Podiumsdiskussion darüber aus, ob unsere Region (Ungarn, Slowakei, Tschechien, Polen) als „aufstrebend“ oder bereits als „entwickelt“ im Raumfahrtbereich bezeichnet werden kann. Ich vertrat dort die Auffassung, dass obwohl die Nachrichten meist über die Raumfahrt in Amerika oder China berichten, auch hier in Ungarn bedeutende Erfolge erzielt wurden.
Die ungarische Raumfahrtgeschichte beginnt bereits 1946 mit Mond-Radar-Experiment von Zoltán Bay– ein bemerkenswerter Erfolg angesichts der damaligen Nachkriegsbedingungen in Budapest. Seitdem wurden viele Ergebnisse erzielt, und
in mehreren Bereichen entstand dank heimischer Forschungs- und Unternehmensentwicklungen Wissen, das man als weltweit einzigartig bezeichnen könnte.
In vielen Bereichen wurden einzigartige Kenntnisse und Entwicklungen erzielt, sei es in den Materialwissenschaften, der Raumfahrtkommunikation oder bei Geräten wie dem dosimetrischen Messsystem „Pille“, das für Bertalan Farkas’ Raumflug entwickelt wurde und bis heute in verschiedenen Versionen im Einsatz ist.
Mehr als 100 Geräte mit ungarischer Beteiligung – sei es durch Unternehmen oder Forschungsinstitute – sind ein Grund zum Stolz.
Zwar gibt es Länder mit noch höheren Zahlen, doch Ungarn hat in den letzten zehn Jahren kontinuierlich neue Projekte und Entwicklungspläne gestartet, um weitere Weltraumgeräte mit ungarischem Beitrag zu schaffen, was auch erfreulich zu sehen ist.
- Im April wurde das UNIverZOOM-Projekt für Gymnasien in Zusammenarbeit zwischen der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest (BME) und dem HUNOR-Programm ausgeschrieben. Das Projekt ermöglicht es den Schülern, parallel zu Tibor Kapu Experimente auf der Erde durchzuführen. Was sind die Ziele dieser Aktion?
Ich kenne den genauen Inhalt der Experimente nicht, aber ich denke, ihre Schönheit liegt gerade darin, dass sie mit Beteiligung von Gymnasialschülern durchgeführt werden können. Die Experimente in den Bereichen Optik, Magnetismus oder Materialprüfung können aufzeigen, wie einzigartig die Naturgesetze im schwerelosen Weltraum im Vergleich zur Erde funktionieren, wo die Schwerkraft Teil unseres Alltags ist.
Beispielsweise schwebt ein Wassertropfen im All, statt zu fallen, und nimmt dort ganz andere Formen an. Auf der Erde verhalten sich dieselben Phänomene ganz anders. Es kann jedoch auch Dinge geben, die sich im Weltraum genauso verhalten wie hier. Meiner Meinung nach können diese Vergleiche den Gymnasialschülern eine sehr gute Diskussionsgrundlage bieten.
Das unbestreitbare Ziel der Experimente ist es, das Interesse junger Menschen an naturwissenschaftlichen Bereichen zu wecken und zu stärken.
- Sie sind der Studiengangsleiter des Masterstudiengangs Raumfahrtechnik an der BME. Wie viele Studierende hat der Studiengang derzeit? Erwarten Sie aufgrund der Popularität der Mission von Tibor Kapu einen Anstieg der Zahlen?
Der Masterstudiengang Raumfahrtechnik ist in Ungarn eine wichtige Ergänzung, da in der heimischen Raumfahrtindustrie über 60 Forschungsinstitute und Unternehmen präsent sind und diese Zahl, auch durch Start-ups, stetig wächst. Die BME war 2020 Vorreiter bei der Schaffung dieses Studiengangs, der 2022 an unserer Universität startete.
Unser Masterstudiengang baut auf unserem umfassenden Wissen über Raumfahrttechnologie auf. Im Jahr 2012 wurde der erste ungarische Kleinsatellit, Masat 1, bei uns entwickelt und gestartet. Das damalige Team arbeitet seitdem an verschiedenen Kleinsatelliten – inzwischen in kleineren Formaten (5x5x5 cm), darunter SMOG-P (2019), SMOG-1 (2021), MRC-100 (vor Kurzem) und aktuell der Satellit Hunity. Andere Kollegen waren an verschiedenen Raumfahrtmissionen beteiligt, am Bau und der Fertigung bestimmter Teile von Planetenforschungssonden. An der Universität hat sich somit sehr viel raumfahrttechnisches Wissen angesammelt. Darauf haben wir uns bei der Erstellung unseres eigenen Masterstudiengangs Raumfahrtechnik konzentriert.
Bei der Einführung 2022 gab es über 100 Bewerber, von denen 26 aufgenommen wurden. 19 dieser Studenten schlossen ihr Studium nach Studienplan in vier Semestern ab. Wir nehmen weiterhin neue Studierende in jedem Semester auf, mit einer Größe von 10 bis 20 Studierenden pro akademisches Jahr. Absolventen dieses Studiengangs sind in der Lage, die komplexen Herausforderungen der Raumfahrttechnologie – von der Entwicklung im All bis zum Betrieb auf der Erde – zu verstehen. Die Mission des ungarischen Astronauten wird das Interesse sicherlich weiter steigern.
- Orsolya Ferencz, Ministerbeauftragte für Raumfahrtforschung, sagte, die Geschichte des 21. Jahrhunderts werde im Weltraum geschrieben. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich stimme dieser Aussage voll und ganz zu. Unser tägliches Leben auf der Erde hängt entscheidend von der Weltrauminfrastruktur ab, insbesondere von Satelliten. Navigationssatelliten sind offensichtlich unverzichtbar um uns zurechtzufinden. Aber auch für die Synchronisierung unserer verschiedenen Systeme nutzen wir Atomuhren, die sich an Bord der Navigationssatelliten befinden. Ein Ausfall der Navigationssatelliten könnte z.B. den automatisierten Handel an den Börsen, die in der Präzisionslandwirtschaft tätigen Geräte sowie den Flug- und Schienenverkehr stören. Neben Navigationssatelliten nutzen wir auch Kommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten für eine Vielzahl von Anwendungen.
Die Entwicklung der Raumfahrt verschiebt sich zunehmend von der reinen Dienstanbieterrolle hin zur Sicherung und dem Schutz dieser kritischen Infrastruktur im Orbit. Der Zugriff auf oder die Beeinträchtigung von Satelliten im niedrigen Erdorbit könnte massive zivile und militärische Probleme verursachen.
Die immer größere Abhängigkeit von Raumfahrzeugen macht es meiner Ansicht nach unbestreitbar, dass der Weltraum ein zentraler Schauplatz für die Entwicklung des 21. Jahrhunderts ist.
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László Bacsárdi, anerkannter Experte für Raumfahrtkommunikation, Quanteninformatiker und Leiter des Labors für Mobile Kommunikation und Quantentechnologien sowie des Masterstudiengangs Raumfahrttechnik an der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest (BME). Das Interview wurde von Enikő Enzsöl geführt.
Quelle: https://ungarnheute.hu/news/tibor-kapus-historische-mission-ein-gespraech-ueber-ungarns-ambitionen-im-all-68428/
Bild: Tibor Kapu nimmt auch eine Glücksfigur mit. Der ikonische TV-Maci war bereits im Weltraum: 1980 nahm ihn Bertalan Farkas mit. Aus TV-Maci soll eine Tradition werden, der alle ungarischen Astronauten begleitet,