23. Juli 2025, Interview mit Viktor Orbán in der Sendung von „Rádió Kossuth“, 18. 07. 2025
- Was Ungarn jedoch mit Sicherheit von Brüssel fordert, ist, dass die Union drei ukrainische Führer, die für Zwangsrekrutierungen verantwortlich sind, auf die Sanktionsliste für Menschenrechtsverletzungen setzt. Dies hat die ungarische Regierung im Zusammenhang mit dem Fall József Sebestyén gefordert. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass dieser ungarische Antrag erfüllt wird?
Viktor Orbán: Wir haben in Brüssel für eine Überraschung gesorgt. Unser Außenminister war in den letzten Tagen dort, und die Brüsseler dachten, da sie von diesem bilateralen Konflikt gehört hatten, dass ein ungarischer Staatsbürger, also ein europäischer Staatsbürger, während einer Menschenjagd, also einer Zwangsrekrutierung, von den Ukrainern getötet wurde. Sie dachten natürlich, dass Ungarn dies nicht unkommentiert lassen würde, aber wir haben diesen Weg nicht gewählt, sondern den Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates* hervorgeholt.
Es handelt sich um ein ernstzunehmendes internationales Dokument, das kürzlich veröffentlicht wurde und in dem ein eigenes Kapitel den brutalen Menschenrechtsverletzungen während der Zwangsrekrutierungen in der Ukraine gewidmet ist.
Wir in Brüssel sagen also nicht, dass es sich hier um eine ungarische Angelegenheit handelt, sondern dass es sich um eine europäische Angelegenheit handelt, die nicht nur Ungarn wahrnimmt, weil einer seiner Staatsbürger von ukrainischen Zwangsrekrutierern zu Tode geprügelt wurde, sondern um ein europäisches Problem, das auch andere wahrnehmen.
Und diejenigen, die das wahrnehmen, haben – übrigens eine Organisation in Straßburg – die entsprechenden Informationen gesammelt, systematisiert und eine umfassende Bewertung veröffentlicht, die genau das sagt, was die ungarische Regierung sagt, nämlich dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, sondern um eine Praxis. Tatsächlich findet eine Menschenjagd statt. Man nennt es Rekrutierung, Zwangsrekrutierung, aber die Leute, die mit der Rekrutierung beauftragt sind, jagen diejenigen, von denen sie glauben, dass sie sofort in die ukrainische Armee eingezogen werden können. Und wenn das mit guten Worten nicht geht, dann geht es eben mit Gewalt. Dabei begehen sie brutale Dinge, wie dieses Dokument deutlich macht. Und ganz am Ende haben wir gesagt:
„Wisst ihr, liebe Freunde in Brüssel, das letzte Opfer war übrigens ein ungarischer Staatsbürger, der auch euer Staatsbürger ist, weil er EU-Bürger ist.”
Wir greifen also von hier aus an und schlagen nicht unter Berufung auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Ukraine und Ungarn vor, dass die Europäische Union Vergeltungsmaßnahmen und Strafen in Aussicht stellt, sondern dass sie nicht untätig bleibt, sondern Sanktionen verhängt, beispielsweise indem wir die für die Menschenjagden verantwortlichen ukrainischen Führer auf die Sanktionsliste setzen. Ungarn hat sie übrigens gestern aus Ungarn ausgewiesen, aber nicht wegen der Ungarn, sondern weil es in unserem Nachbarland eine allgemeine Praxis gibt, die nicht akzeptabel ist. Das ist unser Ansatz, den wir auch durchsetzen werden, und was auf bilateraler Ebene als Sanktion eingeführt werden kann, hat Ungarn bereits gegenüber den drei uns bekannten, identifizierten Verantwortlichen eingeführt.
- Brüssel hat jedoch nicht nur auf diese ungarische Bitte nicht reagiert, sondern es gab überhaupt keine Reaktion auf diese Angelegenheit. Was könnte der Grund für dieses Schweigen sein?
Es ist peinlich. Die Brutalität ist natürlich mehr als peinlich für die Betroffenen, also gibt es dort Opfer, aber auch aus Sicht der Brüsseler Bürokraten ist es peinlich. In Brüssel hört man nichts anderes, ich greife mir an den Kopf, nur dass mir hoffentlich nicht die Haare dabei ausfallen,
dass die Ukraine angeblich fantastische Fortschritte vorgewiesen, diese erzielt habe, Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, der Justiz und der Korruptionsbekämpfung. Die Brüsseler Politiker sprechen also von der Ukraine als einem Land, das alles getan hat, um sich fit zu machen,
ja sogar schon fit ist, das an die Tür klopft, und ein paar Querulanten, zum Beispiel diese Ungarn, wollen die Tür nicht öffnen, obwohl dies den Ukrainern offensichtlich zusteht. Sie behaupten also, dass die Ukraine nicht nur reif, sondern sogar überreif für die EU-Mitgliedschaft sei.
Wer die Ukraine kennt, weil er beispielsweise ihr Nachbar ist, so wie wir Ungarn, weiß genau, dass das nichts mit der Realität zu tun hat. Und natürlich kann man darüber diskutieren, ob das Justizsystem eines Landes bereit ist oder nicht, ob das Steuersystem bereit ist oder nicht, ob die Methoden der Wirtschaftsstreitbeilegung europäischem Standard
darüber, dass ein Mensch zu Tode geprügelt wird, weil er nicht einziehen wollte
oder weil er der Meinung war, dass die Gesetzgebung, nach der er Soldat werden muss, nicht auf ihn zutrifft, und er nicht festgenommen und einem Gerichtsverfahren unterzogen wurde, sondern zu Tode geprügelt wurde, darüber gibt es nichts zu sagen. Dies ist eine klare Absage an die Tatsache, dass dieses Land dafür vorbereitet ist, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Und deshalb müsste Brüssel sich selbst widerlegen, wenn es diesen Fall aufgreifen würde. Das wird es aber von sich selbst nicht tun, deshalb müssen wir diesen Fall auf den Tisch bringen, denn die Brüsseler werden diesen Fall – zu Unrecht übrigens – nicht von sich aus aufgreifen.
Die europäischen Werte, die europäischen Menschenrechtserklärungen und Grundsätze würden es erfordern, dass die Brüsseler Bürokraten diese Angelegenheit selbst aufgreifen und untersuchen.
Aber sie tun es nicht, sie wollen sie vom Tisch schieben, denn es handelt sich hier um ein Land, das ihrer Meinung nach längst reif für die EU ist.
- Interessant sind auch die Reaktionen der Ukraine und Ungarns, denn Kiew reagierte beispielsweise auf die gestrige Ausweisung mit der Ablehnung der Manipulationen Ungarns und der Unerträglichkeit einer solchen Respektlosigkeit. Wie bewerten Sie diese ukrainischen und ungarischen Reaktionen?
Wie wir auch in Brüssel erklärt haben, ist der Fall József Sebestyén für uns Ungarn wichtig, denn er ist einer von uns, eigentlich sind wir alle József Sebestyén, wir, die ungarische Volksgemeinschaft, unabhängig davon, wo gerade die Staatsgrenzen gezogen wurden, wir sind doch eine Nation, deshalb ist dies für uns wichtig, es ist eine Herzensangelegenheit, eine Frage der Ehre. Aber wir dürfen nicht von hier aus argumentieren, sondern, wie ich bereits sagte, ausgehend vom Bericht des Menschenrechtsbeauftragten. Und wir müssen Leuten der Tisza-Partei, dem ukrainischen Geheimdienst und der ukrainischen Diplomatie sagen, dass sie nicht mit Ungarn diskutieren.
Eine europäische Organisation hat schwarz auf weiß niedergeschrieben, dass dies eine Praxis ist, und diese Praxis muss abgeschafft werden, gerade weil zuletzt ein Ungar ihr zum Opfer gefallen ist.
Wir müssen also allen Diskutierenden nicht den ungarischen Fall beteuern, denn dort sprechen die Fakten für sich, sondern wir müssen den Menschenrechtsbericht, den europäischen Bericht vorlegen, in dem diese Praxis nicht von Ungarn, sondern von nicht-ungarischen Berichterstattern beschrieben wird. Man kann den Verfassern also keine bilaterale oder ungarische Voreingenommenheit vorwerfen. Das ist die Realität.
Es ist traurig, aber es ist nichts Neues in der ungarischen Geschichte, dass es Parteien gibt, die in einem ungarisch-ukrainischen oder ungarisch-ausländischen Streit immer den Ausländern Recht geben. Die Tisza-Partei ist Teil dieser Tradition. Die DK ist Teil dieser Tradition. Das sind Parteien, bei denen die Ungarn niemals Recht haben können, weil das Ausland immer etwas Höheres, Besseres, Wertvolleres repräsentiert und wir nicht mit dem Ausland diskutieren dürfen, sondern uns unterordnen, ihm folgen, es als Vorbild nehmen und die Anweisungen von dort akzeptieren müssen.
Das ist eine andere Welt, also die Welt der ungarischen Opposition und ihre Beziehung zu Brüssel oder jedem anderen imperialen Zentrum, früher Moskau, Washington, jetzt Brüssel, eine untergeordnete Beziehung, in der ein Ungar niemals Recht haben kann.
Das ist das Übel, von dem wir uns befreien müssten. Das bedrückt uns seit mehr als hundert Jahren, dass man uns auf den Kopf schlägt und sagt, dass ihr Ungarn niemals Recht haben könnt. Und es gibt Parteien, die das glauben, akzeptieren, davon leben, dass sie solche Befehle ausführen, und es gibt nationale Parteien, zu denen wir gehören, die stolz darauf sind und sagen: „Aber wir sind die Ungarn, und wir haben Recht, und das werden wir beweisen, und dafür werden wir kämpfen, und wir werden unsere Interessen verteidigen.” Wir sehen also jetzt in einer konkreten Angelegenheit den Abdruck dieser Debatte.
Zsolt Törőcsik hat Ministerpräsident Viktor Orbán am 18. Juli 2025 in der Sendung „Guten Morgen, Ungarn!” von Radio Kossuth zum Protest gegen die Zwangsrekrutierungen in der Ukraine befragt.
MAGYARUL:
* Bericht des Europarats von 8. Juli 2025 : https://rm.coe.int/memorandum-on-human-rights-elements-for-peace-in-ukraine-by-michael-o-/1680b678ec