Obwohl Brüssel eigentlich nur in bestimmten, von den Mitgliedstaaten festgelegten Kompetenzen überstaatliche, sogenannte supranationale Befugnisse haben sollte, sehen wir in Wirklichkeit, dass die früher – sehr treffend – als Richtlinien bezeichneten Vorschläge zunehmend zu imperialen Dekreten werden. Dies geschieht zum Ruhm des Liberalismus, der perverserweise den Versuch, die lokale Selbstbestimmung (nationale Souveränität) vollständig abzubauen, als Freiheit und Demokratie bezeichnet. Die schnelle Umgestaltung des rechtlichen Rahmens kann von einigen als Rechtsstaat bezeichnet werden, weil nach der woke Ideologie nur derjenige ein echter „guter Mensch“ sein kann, der akzeptiert, dass Freiheit: Sklaverei und Krieg: Frieden ist.
Ich habe bereits früher erklärt, dass im unklaren rechtlichen Verhältnis des Mittelalters nur das kirchliche Rechtssystem meist konstant, kohärent und ausreichend stabil war, um die frühe Form der Rechtssicherheit zu begründen. Aus der christlichen Philosophie entspringt auch die Naturrechtslehre, die als frühes Äquivalent des Rechtsstaats angesehen werden kann, insofern sie die oberste Souveränität der göttlichen Schöpfungsordnung zuschreibt und daraus folgend über den von Menschen geschaffenen Gesetzen steht – und diese müssen den Anforderungen göttlicher Gerechtigkeit entsprechen. Einfacher gesagt, das geschriebene Gesetz darf nicht gegen die Schöpfungsordnung verstoßen, denn ein solches Gesetz ist dann kein gültiges Gesetz.
Dieses Prinzip steht im völligen Gegensatz zur woke Ideologie, deren erklärtes Ziel es ist, die Schöpfungsordnung zu zerstören, bis wir nicht mehr wissen, was eine Familie ist, um ein Chaos zu schaffen, in dem wir nicht einmal wissen, ob wir Jungen oder Mädchen sind – ein Beweis für die außergewöhnliche Ausdruckskraft der ungarischen Sprache. Da der Gesellschaftsvertrag, der den von Hobbes beschriebenen chaotischen Naturzustand beendet – in dem die Menschheit nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, ihre Güter durch Zusammenarbeit zu vermehren, und stattdessen ständige Rivalität und Kriege das Gemeinwohl zerstören – auf dem Naturrecht basiert, das aus den christlichen kulturellen Wurzeln hervorgeht, ist es eine natürliche Bestrebung derer, die an der gesellschaftlichen Wohlfahrt uninteressiert sind, die Schöpfungsordnung grundlegend zu verändern. Einfacher gesagt, die paar Jahrzehnte der sogenannten Pax Americana sind nicht ausschließlich der militärischen Stärke der Vereinigten Staaten zu verdanken, sondern auch den rechtlichen und gesellschaftlichen Errungenschaften, die aus der christlichen Philosophie hervorgegangen sind. Die Kriege, Krisen und die Migrationskrise der letzten Jahre boten immer wieder Gelegenheit, diese Errungenschaften zu untergraben.
Nach 2015, mit dem Ausbruch der Migrationskrise, wurde beispielsweise das Recht auf nationale Selbstbestimmung, das kleine und große Länder zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf gleicher Grundlage verpflichtet, infrage gestellt. Wenn eine ausländische Machtstruktur infrage stellen kann, in welchen Rahmen ein Land seine Kultur oder physische Sicherheit schützen will, ohne anderen zu schaden, was hindert uns daran, auch andere Rechte des kritisierten Landes infrage zu stellen? Dies ist die große Falle der obligatorischen Einwanderung, die von einer Richtlinie zu einem unter dem Deckmantel der woke Ideologie versteckten imperialen Dekret wurde: Wenn wir die Grundlagen einer der vier wesentlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit (ständige Bevölkerung, identifizierbares, abgegrenztes geografisches Gebiet, Regierung, die über Bevölkerung und Gebiet herrscht, und die Fähigkeit, mit anderen Staaten in Beziehung zu treten) verändern, was hindert uns daran, in die anderen drei einzugreifen?
Die woke Ideologie ist ein hervorragendes Instrument in diesem Prozess, da sie den Anschein wahrt, das Prinzip der Nichteinmischung zwischen den Staaten zu respektieren, während sie in Wirklichkeit die Rechtssysteme der Staaten in der oben beschriebenen Weise formt oder besser gesagt verhöhnt. Woke ist nämlich alles, nur kein Rechtsstaat.
Ein Rechtsstaat muss gleiche Chancen gewährleisten, nicht soziale Homogenität. Zwei anschauliche Beispiele:
- In einem Rechtsstaat muss es eine definierte Vorstellung von Ehe geben, die für alle Personen, die den Regeln entsprechen, ohne Diskriminierung zugänglich sein muss. Es muss jedoch nicht das Recht auf Ehe für diejenigen gewähren, die nicht in das konzeptionelle System der Ehe passen. Andere, ähnliche Status können natürlich bereitgestellt werden.
- Arbeitnehmerrechte müssen in jedem Rechtsstaat garantiert sein, aber nicht, dass weniger qualifizierte Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit bevorzugt eingestellt werden. Dies würde nämlich das Prinzip des fairen Wettbewerbs untergraben.
Woke hingegen tut genau das Gegenteil, indem sie ständig rückwirkende und/oder andere soziale Gruppen benachteiligende, aggressive Kampagnen führt, die die Rechtsordnung, wo immer sie auftaucht, in kleine Stücke zerschlägt. Deshalb muss man zwischen Rechtsstaat und Woke-Staat unterscheiden. Brüssel ist letzteres.
Übersetzt und bearbeitet von Hans Seckler