25. Mai 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Annalena Baerbock kam diese Woche in Kiew an. Mag sein, aus Aberglauben, vielleicht aber auch aus Sparsamkeit, trug sie denselben dreiviertellangen gelben Mantel mit blauen Knöpfen, den sie immer trägt, wenn sie in die Ukraine reist. Möglicherweise hat sie ein Dutzend dieser gelben Blazer in ihrem Kleiderschrank, ähnlich dem Tarnanzugbestand ihres Gastgebers, Wolodimir. Ein großer Politiker verdient Imagepflege nicht nur im Hintergrund.
Ihre Ankunft wurde aus Sicherheitsgründen nicht offiziell angekündigt, und der gepanzerte Wagen brachte sie vom Bahnhof direkt zu Zelensky in den Präsidentenbunker. Nach der neuen europäischen Sitte des Umarmens sagte sie:
„Lieber Wolodja (sie könnte auch Wowa gesagt haben, denn das weiche palatale G ist nicht für die Aussprache deutscher Sprachorgane geeignet), es ist beeindruckend zu sehen, dass Sie sich trotz Russlands Zerstörungswut auf dem Weg der Reformen befinden“. Darunter verstand sie die Bemühungen der Ukraine um die Reform des Justizwesens, die Bekämpfung der Korruption und die Förderung der Medienfreiheit, so die fähige grüne Chefin der deutschen Diplomatie.
Unter dem Surren des Samowars versicherte sie dann dem ukrainischen Präsidenten, dass sein Volk auf die langfristige Unterstützung Deutschlands und anderer Verbündeter zählen könne. Die Unterstützung des Westens beruht auf der tiefen Überzeugung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird. Auf globaler Ebene wurde bereits fast eine Milliarde Euro für den weiteren Ausbau der ukrainischen Luftverteidigungskräfte aufgebracht, und es wird hart daran gearbeitet, noch mehr bereitzustellen. Auch die Munition wird ohne Unterbrechung eintreffen. Die Ukrainer müssen sich nur auf dem Schlachtfeld behaupten, wie schwierig die Situation auch sein mag.
Ich weiß nicht, ob Annalena Baerbock bereits gehört hat, dass am Pfingstsamstag in der Ukraine das Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten ist. Alle wehrpflichtigen Männer werden registriert, den neuen Wehrpass muss jeder ständig bei sich tragen, er kann ihnen bei einer Ausweiskontrolle abgenommen werden und sie können ihre Angelegenheiten im In- und Ausland ohne diesen Pass nicht erledigen. Jeder, der die Einberufung sabotiert, wird mit Zwangsmaßnahmen belegt, vorgeführt und vor Gericht gestellt.
Ich frage mich, ob die deutsche Außenministerin gehört hat, dass es in der Ukraine Zwangsrekrutierung gibt, wovor sich die Wehrpflichtigen versuchen zu verstecken und zu fliehen, wohin sie können. Es gibt fast keinen Menschen mehr, der in der Ukraine für die Ukraine kämpfen und sterben wollte. Sogar die Gefängnistore wurden geöffnet, und diejenigen, welche bereit waren Soldat zu werden, sind aus der Haft entlassen worden.
Hat Annalena gesehen, wie die Feldgendarmerie junge und alte Menschen – Sammelbegriff: Kanonenfutter – auf der Straße, in ihren eigenen Häusern und Wohnungen, bei der Arbeit gewaltsam zusammentreibt? Es gibt Videoaufnahmen davon, die von verängstigten Familienmitgliedern und Bekannten heimlich gemacht wurden.
Diese Videos werden in Deutschland nicht gezeigt, die deutschen Faktenchecker machen sie ausfindig und lassen sie vom Internet verschwinden. Russische Nachrichtenquellen (audiatur et altera pars!) werden im Namen der europäischen Medienfreiheit vom Anfang an ohnehin mit EU-Sanktionen belegt, sind also nicht zu empfangen.
Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Menschen bisher in diesem Bruderkrieg gestorben sind, wie viele Menschen durch das Erlebte physisch und psychisch verkrüppelt wurden.
Laut der deutschen Außenministerin bekämpft der ukrainische Staat auch die Korruption erfolgreich. Weiß sie, dass man von der Zwangsrekrutierung entlassen wird, wenn man die richtige Person oder Stelle besticht? Wer Geld hat, kann leicht über die Grenze gelangen, dafür gibt es Tarife. Diejenigen, die arm sind, versuchen, einsam zu desertieren, wenn sie Glück haben, entkommen sie, wenn nicht, bezahlen sie mit ihrem Leben. Die Theiß ist ein Grenzfluss, an dem ungarische Grenzsoldaten kürzlich ertrunkene und erschossene Deserteure aufgefunden haben. Ungarische Hilfsgüter kommen nicht immer bei den Bedürftigen an, die Zuständigen bei der Behörde nehmen einen Teil für sich, denn es herrscht Kriegszustand, und das kann für alles und jedes verantwortlich gemacht werden.
So werden zum Beispiel die fälligen Wahlen wegen des Kriegszustands nicht abgehalten. Das Mandat von Präsident Zelensky ist am 20. Mai abgelaufen, aber dieses Defizit an Rechtsstaatlichkeit stört in den westlichen Demokratien niemanden.
Der Präsident ist immer noch im Amt, jetzt in einem nach den demokratischen Spielregeln illegitimen Status, aber wenn wir Ungarn es wagen würden zu erwähnen, dass in seinem Land eine Militärdiktatur eingeführt worden ist, würde man uns sicherlich köpfen. Einigen Analysten zufolge liegt die Unterstützung für den Präsidenten immer noch bei 60 %, aber
auf welche Gruppen beziehen sie sich bei diesen Prozentzahlen? Die acht bis zehn Millionen Russen und andere Minderheiten (unter anderem auch die ungarische autochtone Minderheit), die entrechtet wurden? Diejenigen, die auf den Schlachtfeldern kämpfen? Die Mittellosen oder die Profiteure des Krieges?
Statistiken zufolge belief sich die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die in den zwei Kriegsjahren ins Ausland geflohen sind, auf 31 Millionen, von denen zwanzig Millionen zurückkehrten, aber diese Zahlen spiegeln nicht die Realität wider.
Die Ukraine ist durch den erzwungenen Krieg zu einem Land geworden, bei dem weder Grenzen, noch Bevölkerung festzustellen sind.
Ich glaube, viele damals fröhliche Ukrainer haben es bereits bereut, dass sie 2019 nicht den unabhängigen Poroschenko, sondern den scheinbar unabhängigen, populären TV-Komiker zum Präsidenten gewählt haben. Zelensky, der sich selbst als Diener des Volkes bezeichnete, machte populistische Versprechungen, die man sowohl ernst als auch scherzhaft nehmen konnte, denn was erwartet man von einem Komiker? Hinter seinen politischen Versprechungen stand weder ein Programm, noch eine Strategie, noch eine Person, die in der Lage gewesen wäre, sie umzusetzen. Zum Beispiel die Kämpfe im Donbass, der damals bereits seit Jahren andauerte, zu beenden. Stattdessen eskalierte er zuerst zu einem lokalen Scharmützel, dann zu einer Spezialoperation, dann zu einem Stellvertreterkrieg, und ich wage nicht daran zu denken, was er noch werden könnte!
Seit dem 24. Februar 2022 tritt Zelensky in militärischer Tarnanzug auf der Weltbühne auf. Er geht darin zum Papst, zur UNO und nach Brüssel. Die Kleiderordnung ist ihm egal, er hat seine eigene, die Welt muss sehen, dass er ein Land im Krieg repräsentiert.
Der vom Tanzkomiker zum Präsidenten gewordene Politiker hat sich voll und ganz mit seiner Rolle identifiziert.
Wird die Ukraine diesen Krieg verlieren? – fragte der deutsche Reporter die Außenministerin nach deren Besuch in Kiew. „Nein, denn die Ukrainer kämpfen wie Löwen. Es sind tapfere junge Menschen, die wissen, dass sie erschossen werden, wenn sie nicht selbst schießen. Sie wissen auch, dass sie nicht nur die Ukraine, sondern unser europäisches Friedenssystem verteidigen“, sagte Annalena Baerbock mit tiefer Überzeugung. Deshalb muss die Ukraine um jeden Preis gewinnen, und wir müssen sie so gut wie möglich unterstützen.
Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240524-dresszkod