29. März 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Geréb, Hegedűs, Judas, Brutus und alle anderen
Als im weltberühmten Jugendroman von Ferenc Molnár die Mitglieder der Bande der Paulstraße János Boka erneut zum Vorsitzenden wählten, war Geréb beleidigt. Zwar stimmten zwei aus der Mannschaft für ihn, aber die anderen hielten zum erprobten Anführer, der sich bereits bewährt hatte. Also ging Geréb daraufhin in den Botanischen Garten, wandte sich an die feindlichen Bande der Rothemden und bot ihnen seine Dienste an. Sie waren gerade selbst auf der Suche nach einem Spielplatz, und da kam Gerébs Verrat gerade recht. Als er gefangen genommen und auch vom Feind wegen seiner Rückgratlosigkeit verachtet wurde, flehte er weinend darum, wieder in die Paulstraßen -Truppe aufgenommen zu werden. Er verwickelte sogar seinen strengen Vater in die Geschichte und log auch dort über irgend etwas, weil er dachte, eine erwachsene Autorität würde ihn schützen können.
Jeder Ungar kennt auch die Geschichte von Leutnant Hegedűs aus dem Jugendroman Die Sterne von Eger. Der Leutnant aus Kaschau war der Meinung, dass die Burg von Eger der türkischen Armee 1552 nicht standhalten konnte. In jenem Jahr waren Temesvár, Lippa und Szolnok bereits gefallen, und Eger war, wie Ahmed Pascha verlautbart hatte, nur eine verfallene Hütte, die von feigen, ungläubigen Schafen bewohnt wurde. Welche Chance hätten denn zweitausend Verteidiger gegen eine türkische Armee von vierzigtausend Mann? Zwar kämpften sie verzweifelt nicht nur um ihr Leben, sondern auch um ihr Land, aber auf ein Entlastungsheer, die kaiserlichen Söldner, konnten sie nicht zählen. Leutnant Hegedűs, obwohl er geschworen hatte, die Burg zu verteidigen, hielt es für sinnvoller, seine eigene Haut zu retten und die Türken durch einen Geheimtunnel in die Burg zu führen. Er verriet die Burg, seine Kameraden und sein Land. Als er enttarnt wurde, bettelte er um sein Leben. Er leugnete den Verrat, er habe doch nur Gutes im Sinn gehabt und persönlichen Ruhm erlangen wollen, indem er Tausende von Türken in einen Hinterhalt locken und sie alle selbst abschlachten wollte.
Geréb und Hegedűs waren Phantasieprodukte von Schriftstellern, während Brutus eine reale historische Figur war, die ihren Stiefvater erstach. Wir würden uns nicht mehr an ihn erinnern, wenn Julius Cäsars Bestürzung „Auch du, mein Sohn Brutus“ nicht zu einem Schlagwort geworden wäre. Brutus beschloss zusammen mit einer Gruppe von Senatoren, Caesar zu ermorden. Die Verschwörer nannten sich Liberatores, die Rom und die Republik von ihrem Anführer befreien wollten, den sie für einen Tyrannen hielten. Es störte sie nicht, dass das Volk den Kaiser liebte, ihn als Wohltäter betrachtete und Rom ihm viel verdankte, weil er ein großer Politiker und ein hervorragender Feldherr war, auch Gallien und Britannien huldigten ihm. Obwohl die „Befreier“ den Mord als gerechtfertigte Tyrannei bezeichneten, wurde ihre Tat in den Augen des Volkes und der Armee als gewöhnlicher Vatermord angesehen.
Wenn es um Verrat geht, dürfen wir den größten Verräter der christlichen Welt, Judas Iskariot, nicht vergessen. Judas, einer der zwölf Jünger Jesu, ein Geldwechsler und Verwalter des gemeinsamen Schatzes der Jünger, verriet seinen Meister, übergab ihn den Soldaten und führte ihn in den Tod am Kreuz. Sein Lohn waren dreißig Silberlinge, die noch heute als Judaslohn bezeichnet werden: die Belohnung der Verräter. Die christliche Moral verachtete die Abtrünnigen so sehr, dass Dante ihnen in seiner imaginären Hölle die größte Strafe auferlegte, indem er sie in die unterste Grube der Hölle warf. Hier werden die Brudermörder, die Vaterlandsverräter, die Verräter ihrer Gäste und ganz unten diejenigen bestraft, die ihre Wohltäter verraten haben – Judas, Brutus und sein Partner im Verrat, Cassius.
Geréb und Leutnant Hegedűs waren fiktive literarische Figuren, anhand derer die Autoren zeigten, wie Verrat funktioniert, warum er geschieht, welche Art von Person der Verräter ist und welche Motive hinter seinem Handeln stehen.
In der Regel sind es Ressentiments, Neid, Eifersucht, Hass oder Schwäche, Feigheit und Habgier, die zum Verrat führen, der, wie wir im Fall von Brutus gesehen haben, gut ideologisiert werden kann und eine Zeit lang als Triumph der Wahrheit akzeptiert wird.
Eine Zeit lang, denn früher oder später wird die Wahrheit immer ans Licht kommen und der Täter wird mit der Gerechtigkeit und der Strafe der Gesellschaft bestraft werden.
Geréb wurde von den Jungen in der Dunkelheit des Botanischen Gartens entdeckt, und der kleine Nemecsek sah auch, wie er Jano bezahlte. Geréb, wie die meisten Verräter, bereute schließlich seine Tat und bettelte um Vergebung. Die Kinder aus der Paulstraße nahmen ihren Mitspieler wieder auf, auch wenn er zum einfachen Soldat degradiert wurde. Aber Hegedüs wurde von Hauptmann Dobó nicht begnadigt, und seine Belohnung war der Galgen anstelle des Goldes, das die Türken ihm versprochen hatten. Judas, der die Schwere seiner Tat erkannte, warf die dreißig Silberstücke weg und brachte sich um. Auch Brutus überlebte nicht lange. Als er erkannte, dass die falsche Losung der Befreiung auf Verrat beruhte und dass der Wohlstand, den Caesar in Rom geschaffen hatte, in Bürgerkrieg und Mord umgeschlagen war, nahm er sich das Leben, als er die Schlacht gegen Caesars Anhänger verlor.
Wer seine eigene Gemeinschaft, ob groß oder klein, seine Freunde und Nachbarn, seine Familie oder sein Team verrät, hintergeht, betrügt, besudelt oder verleumdet, wird von der Gemeinschaft geächtet, um es mit den genannten Beispielen zu verallgemeinern. So war es in der Vergangenheit und so wird es immer sein, denn der Lohn des Verräters kann nur Verachtung sein.
Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240328-gereb-hegedus-judas-meg-a-tobbiek