9. März 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Die ungarische kollektive Erinnerung an das 20. Jahrhundert ist sehr merkwürdig. Viele blicken an die Kádár-Ära mit Nostalgie zurück. Die Zeitspanne nach dem Friedensschluss von Trianon, als man um den Erhalt des Ungartums kämpfte, wird dank des schulischen Unterrichts bis heute mit der Abstempelung durch die bolschewistische Doktrin „als gegenrevolutionär, faschistisch, nationalsozialistisch“ überzogen. Die Gehirnwäsche war erfolgreich.
Das Ende des Krieges, der in Ungarn als Befreiung deklariert wurde, war noch gar nicht erreicht, als die Provisorische Nationalversammlung auf dem Gebiet, das von den sowjetischen Truppen besetzt war, die Verordnung über die Erlangung des Landbesitzes für die bäuerliche Bevölkerung verabschiedet hatte. Nach umgekehrter Lesart:
die mehrheitlich linksgerichteten Parteien lösten das System des Großgrundbesitzes auf und installierten einen Bodenfonds, in dem der beschlagnahmte, enteignete und staatliche Grundbesitz aufgenommen wurde.
Es entstanden Kommissionen für Bodenverteilung, die über die Gebiete im Bodenfonds verfügen konnten. Es gab Bereiche, die im Besitz des Staates oder der Allgemeinheit belassen, während andere verteilt wurden. Wir sollten jetzt nicht dem Umstand nachgehen, welche Personen bei der Verteilung begünstigt wurden und wie diese zustande kam.
Aber diese erfolgte auch in Badacsony, wo die Kommission für Bodenverteilung über einem Gebiet von mehr als vier Tausend Morgen verfügen konnte. Der größte Verlierer von der Enteignung war Fürst Pál Esterházy der V., dreiviertel des beschlagnahmten Bodens betraf seinen Besitzt dort. Als größter Eigentümer einer Familienstiftung (fideicommissum) des Landes verlor er im ganzen Land natürlich viel mehr, etwa insgesamt das Hundertfache des Gutes in Badacsony-Csobánc.
Der Fürst jedoch benutzte nicht den durch seine Ländereien erwirtschafteten Reichtum für sich selbst, er beutete seine Arbeiter nicht aus, er lebte als guter Chef, als sein eigener, fleißigster Verwalter. Er gab hunderttausend Menschen Arbeit, er verteilte als ganz junger Besitzer Land an die auf seinen Gütern lebenden Leute und half ihnen fortwährend mit Lebensmittel, Brennholz. Seine Wohltätigkeitsaktionen an den Weihnachtsfeiertagen waren berühmt, als er unter den Armen in den Städten Brennmaterial, Mehl, Fleisch und Schmalz verteilte. Wo er konnte, half er. Er gründete Stiftungen und unterstützte mit nicht geringen Summen die Wissenschaft, die Kultur und die Kunst. Er nannte das als „Pflichtsteuer“.
Die Wohltätigkeit war in dieser Zeit keine Einzelerscheinung. Die ungarische Aristokratie verwendete einen Großteil seines Einkommens zur Unterstützung von humanen und gesellschaftlichen Zielen, um das durch den Friedensvertrag von Trianon geschwächte Land am Leben zu erhalten und aufblühen zu lassen, weil das im Interesse aller war.
Das riesige Vermögen bedeutete für sie eine große moralische Verantwortung und Grund für ein nationales Engagement. Und sie hatten Beispiele eines auf Jahrhunderte zurückgehenden Mäzenatentums vor Augen.
Der junge Pál Esterházy hatte großen Anteil an der Wiederbelebung nach dem Trianon-Schock, er unterstützte in den zwanziger Jahren die Arbeit der Ungarischen Wissenschaftsakademie, der Heiligen-Stephan-Akademie, der Péter-Pázmány-Universität mit mehreren Hunderttausenden, die Oper mit Millionen. Als es gelungen war, das kulturelle Institutionssystem zu stabilisieren, gründete er langfristige, mit hohen Summen ausgestattete Stipendien im Medizinbereich, Stipendien für bildenden Künstler und für Studenten. Während des zweiten Weltkrieges unterstützte er die Verfolgten materiell, er spendete zum Beispiel Hunderttausend Pengő zur Rettung der im Kloster der Vinzentinerinnen versteckten und gefährdeten jüdischen Kinder.
All das zählte nichts für die sich etablierende kommunistische Macht. Zunächst raubten sie ihm sein Vermögen, dann seinen Titel als Fürst und schließlich auch seine Freiheit. Dr. Paul Esterházy wurde Anfang 1949 im Schauprozess gegen Kardinal Mindszenty ein Angeklagter. Das Ziel des Prozesses war die Kirche und die Aristokratie moralisch um ihr Ansehen zu bringen. Das Konzept der Kommunisten wollte mit diesem Schlag neben der Kirche auch die Aristokratie treffen.
Einfach ausgedrückt, das Wesentliche war ein Exempel zu statuieren, damit die arbeitende Bevölkerung des Landes sieht, was die klerikale und weltliche Reaktion fertig bringen kann! Den Angeklagten wurde Kriegshetze, Spionage und Verschwörung vorgeworfen, aber im Urteil wurde sogar behauptet, dass sie sich geradezu zum Umsturz des demokratischen Staates organisiert hatten. Nach der Anklageschrift war der Fürst ein gewöhnlicher Devisenspekulant, der amerikanische und schweizerische Geldspenden annahm und diese unter den Bischöfen und den Priestern „mit faschistischer Mission“ verteilte, das restlich Geld aber zu einem Wucherumtauschkurs von 25-40 Forint verkaufte.
Das Verfahren wurde rasch durchgeführt, nach sechs Wochen Verhöre mit Folter wurde das Urteil im Februar 1949 schnell gefällt: fünfzehn Jahre Kerkerhaft, als Nebenstrafe zehn Jahre lang Ausschluss von öffentlichen Ämtern, Suspendierung von der Ausübung der bürgerlichen Rechte, sowie die Konfiszierung seines restlichen Vermögens. Während er im Gefängnis saß, wurde seine Familie aus Budapest in unmenschliche Verhältnisse deportiert. Die Freiheit erlangte er im Laufe der Revolution von 1956, die Annullierung des Urteils brachte die Neuverhandlung des Mindszenty-Prozesses im Jahr 1989. Man hat ihn von der Anklage freigesprochen, aber
sein Vermögen erhielt er nicht zurück, eine offizielle Rehabilitation, die Wiederherstellung der Ehre des Fürsten Pál Esterházy, sowie eine Entschuldigung erfolgte bis zum heutigen Tage nicht.
Das habe ich deshalb niedergeschrieben, weil die Nachwelt sehr stiefmütterlich mit dem letzten Chef der ehemals größten Familienstiftung umgeht, dessen Glaubenssatz war: „was ich dem Ungartum gebe, wird die Nation zurückerstattet bekommen.“
Die ungarische kollektive Erinnerung an das 20. Jahrhundert ist sehr merkwürdig. Viele blicken an die Kádár-Ära – ohne etwas von der wirklichen Funktion des Systems zu wissen – mit Nostalgie zurück. Die Zeitspanne nach dem Friedensschluss von Trianon, als man um den Erhalt des Ungartums kämpfte, wird dank des schulischen Unterrichts bis heute mit der Abstempelung durch die bolschewistische Doktrin „als gegenrevolutionär, faschistisch, nationalsozialistisch“ überzogen.
Die Gehirnwäsche war erfolgreich, der Name des größten Mäzens in der Zeit zwischen den Weltkriegen existiert im allgemeinen Bewusstsein weder im Land noch in dem lokalen Bereich.
In von mir so geliebtem Badacsony, wo Paul Esterházy ein weltberühmtes Weingut aufgebaut hatte, bewahrt weder eine Gedenktafel, noch ein Platz- oder Straßenname, nicht einmal die lokale Erinnerungskultur seinen Namen.
Doch war das Weingut in Badacsony als Teil des Landbesitzes von Csobánc seit 1669 ein Esterházy-Gut, wo man nach der Filoxerie mittels bewussten, modernen Methoden, mit der Herstellung von marktgerechten, reinrassigen Weinen den Weinbau in Badacsony auf ein europäisches Niveau anhob. Es wurde auf dem Gut ein Flaschenabfüllkeller eingerichtet und ab 1930 hatte man die gesamte Produktion in Flaschen in Umlauf gebracht, jährlich etwa eine halbe Million Flaschen. So war es auch möglich, die Märkte auch außerhalb von Europa zu erobern, weil der göttliche Trunk des Berges in Flaschen gut den Transport über der See vertrug.
Dieses fürstliche Gut in Badacsony, ein am besten eingerichtetes, mit seinen Weinen weltberühmt gewordenes Mustergut im Land wurde durch die Enteignung 1945 zerstört.
Dasselbe Schicksaal erlebte auch die Flaschenabfüllmanufaktur und der riesige Keller. Das Gebäude am Römerweg fällt ein, die heute als museumsreif geltende Ausstattung wurde auseinandergetragen, den Rest zerfraß der Rost. Das kommunistische System zerschlug auch die Erinnerung an den Fürsten, aus dem wohltätigen Mäzen wurde in dem durch die Ideologie umgestalteten, allgemeinen Bewusstsein auf einmal ein untreuer Verräter, ein Schacherer des ungarischen Volkes. Die Zeit vergisst schön langsam beide Versionen.
Die Wohltätigkeit hat keine Spuren weder auf dem Papier, noch in der Gegend hinterlassen. Was von der Entwicklung des Fürsten in Badacsony übrigblieb, das genießen sowohl die Einwohner der Ortschaft, als auch die hierher strömenden Touristen. Er erweiterten 1934 das ikonische Kisfaludy-Haus mit einem Seitenflügel, damit er „eine Weinwirtschaft nach echt ungarischem Geschmack“ einrichtet. Für den Ausbau des zum Haus führenden Kisfaludy-Weges und für die Stützmauer lieferte er die Basaltsteine. Wir könnten die fürstlichen Schenkungen weiter aufzählen, zum Beispiel das wertvolle Gebiet am Seeufer, das er vollkommen ohne Entgelt 1930 der Gemeinde überlassen hatte, damit sie ein Strandbad dort erbauen konnte. Das ist der auch heute noch bestehende Strand in Badacsony, aber ebenso gehören die Bereiche des Erlebnisparks und der Schiffsanlegestelle, sowie des hier befindlichen, namenlosen Platzes, dessen Bereinigung zusammen mit der Renovierung des Tátika-Gebäudes gerade fertig geworden ist, dazu.
Die Einheimischen, die die Geschichte des Fürsten kennen, hätten es gern, wenn der Namensgeber dieses Platzes Fürst Paul Esterházy der V. sein würde. Dann würden die mit dem Schiff in Badacsony ankommenden Touristen mit einigen wichtigen Informationen über unserer Vergangenheit reicher und könnten mit anderen Gedanken auf dem zum Kisfaludy-Haus führenden Weg hinaufspazieren. Vielleicht würde sich dann auch unsere Erinnerungskultur in die richtige Richtung, in die Richtung der Behütung unserer Werte bewegen.
Autorin, Dr. Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240307-emlekezetkultura
Bildquelle: Magyar Nemzeti Digitális Archvium